Methode, Berechnung, Dokumentation nicht nachvollziehbar
In einer Veröffentlichung hat das Hessische Statistische Landesamt am 25. Juni mitgeteilt, dass laut dem Zensus 2022-Ergebnis 6.675 Menschen weniger in Hanau leben würden als bisher angenommen. Statt 100.307 Einwohnerinnen und Einwohner ergab die auf einer Hochrechnung basierende Erhebung die Zahl 93.632 rückwirkend zum Mai 2022, ein Rückgang um 6,655 Prozent. In einer umgehenden Prüfung kamen Oberbürgermeister Kaminsky, Bürgermeister Dr. Maximilian Bieri und Stadträtin Isabelle Hemsley zu dem Ergebnis, dass die ohne weitere Begründungen vorgelegte Zahl nicht plausibel ist, und belegten das mit einer Reihe von Beispielen. Ein erstes Gespräch mit dem Amt im August brachte keine Klarheit – die durch das für Mitte September angekündigte Erläuterungsblatt herbeigeführte werden sollte. „Dem ist nicht so“, stellt Bürgermeister Dr. Bieri fest. Der promovierte Mathematiker nimmt sich in Absprache mit Oberbürgermeister und Stadträtin den jüngsten Veröffentlichungen gemeinsam mit Prof. Dr. Rainer Schnell an. Der Sozialwissenschaftler, der Professor an der City University London war und Inhaber des Lehrstuhls für “Sozialwissenschaftliche Methoden/Empirische Sozialforschung” im Fachbereich Gesellschaftswissenschafen der Universität Duisburg-Essen ist, berät die Stadt Hanau.
29 Fragen zum Zensus 2022
Zwar ist der Stadt Hanau noch kein offizieller Bescheid zur Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl nach dem Zensus 2022 zugegangen, dennoch liegt seit dem 23. September das Datenblatt zur Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl von Hanau vor, das erklären soll, wie die Einwohnerzahl ermittelt wurde. „Aber dieses Datenblatt stellt keinen Erläuterungsbericht dar. Das Papier enthält keine detaillierten Informationen, wie die amtliche Bevölkerungszahl insbesondere methodisch im Rahmen des Zensus 2022 ermittelt wurde“, so Dr. Bieri, der betont: „Es geht nicht darum, einen Schuldigen zu finden, sondern den Prozess transparent im wissenschaftlichen Sinne zu erklären. Die hochgerechnete Zahl ist weiterhin für uns nicht nachvollziehbar. Bis heute haben wir keine auch nur ansatzweise mathematisch vollständige Dokumentation der Verfahrensweise erhalten.“ Das Verwaltungsverfahrensgesetz sehe vor, dass Verwaltungsakte zu begründen sind. Diese Begründungspflicht diene dazu, die Entscheidung für den Betroffenen nachvollziehbar zu machen und ihm die Möglichkeit zu geben, seine Rechte effektiv wahrzunehmen. „Eine nachvollziehbare Entscheidung setzt eine gründliche Sachverhaltsermittlung voraus. Die Behörde muss darlegen können, auf welcher Tatsachengrundlage sie ihre Entscheidung getroffen hat. Dafür benötigt es eine detaillierte, nachvollziehbare und beweisbare Berechnung“, so Dr. Bieri, der heute dem Hessischen Statistischen Landesamt per Brief 29 Fragen geschickt hat. „Gemeinsam mit Prof. Dr. Schnell haben wir das Datenblatt zur Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl der Stadt Hanau gesichtet. Hierbei haben sich detaillierte Fragen insbesondere zur Methode und der Berechnung ergeben, welche wir schriftlich beantwortet sehen möchten“, so Dr. Bieri.
Warum es keine vollständige Dokumentation aller einzelnen Verfahrensschritte für den aktuellen Zensus gibt, warum die Programme und die Programmcodes nicht öffentlich zugänglich sind, ob unabhängige Prüfungen der Programme stattgefunden haben und falls ja, wo diese dokumentiert sind, ob unabhängige Zweitberechnungen, zum Beispiel der Hochrechnung, stattgefunden haben und falls ja, wo diese dokumentiert sind – sowie weitere Fragen zu den Formeln für die Hochrechnung, der Erhebung und der Haushaltsgenerierung, die einen wesentlichen Bestandteil des Zensus darstellen hat Hanau dem Statistikamt zukommen lassen.
Eingriff in die Finanzhoheit der Stadt
„Der Zensus 2022 hat wohl gravierende finanzielle Auswirkungen für die Stadt Hanau zur Folge. Gleichzeitig können wir diesen weder inhaltlich noch methodisch nachvollziehen. Das ist ein Eingriff in die Finanzhoheit der Stadt Hanau sowie unsere kommunale Selbstverwaltung“, stellt Dr. Maximilian Bieri gegenüber dem Hessischen Statistischen Landesamt fest. Den Rechtsweg will man nicht beschreiten, so Dr. Bieri, „wir halten ihn aber nicht für ausgeschlossen“.
Text: Dominik Kuhn