Mit leisen Tönen, großer Stimmgewalt und viel guter Laune
Bereits zum elften Mal hieß es am Montagabend im fast vollbesetzten Amphitheater „Bühne frei für alle“. Bei der Veranstaltung „Open Stage“ haben dann sämtliche Team-Mitglieder der Brüder Grimm Festspiele Hanau die Möglichkeit, sich auf den berühmten Brettern, die die Welt bedeuten, zu präsentieren. Auch dieses Mal erlebte das Publikum wieder so manche Überraschung und honorierte das vielfältige Programm mit begeistertem Applaus und stehenden Ovationen.
Der Abend begann mit einer Zahl: 82.232. Diese auf den ersten Blick krumme Ziffer macht aber für Frank-Lorenz Engel die laufende Saison zu einer runden Sache. „Sie sind Zeugen eines historischen Augenblicks“, verkündete der Intendant gut gelaunt, „mit 82.232 verkauften Karten brechen wir in diesem Jahr den Allzeitbesucherrekord aus dem Jahr 2006 um eine Karte.“ Glück hatte Zuschauer Stefan Heeg, der genau dieses Ticket abends erworben hatte: Er bekam für sein Geld nicht nur knapp drei Stunden Showprogramm, sondern auch noch einen Korb voller „märchenhafter“ Geschenke.
Apropos „Geschenke“: Auch in diesem Jahr wird ein Teil der Erlöse aus der Benefizveranstaltung „Open Stage“ einem guten Zweck zugutekommen: Fünf Euro pro Karte spenden die Festspiele erneut der Maria-Seebach-Stiftung, die sich mit großem Engagement für die Betreuung und Pflege bedürftiger, oftmals hochbetagter, Bühnenkünstlerinnen und -künstler einsetzt. Bereits aus der letztjährigen Veranstaltung konnten fast 3.500 Euro der Stiftung übergeben werden.
Ein verheißungsvoller Auftakt also für diese Veranstaltung, die sich im Laufe der Jahre eine feste Fangemeinde und ein Stammpublikum erarbeitet hat. Dafür spreche auch, so die Moderatorin des Abends, Claudia Brunnert, mit einem Augenzwinkern, dass bereits zwei Tage nach Beginn des Vorverkaufs im vergangenen November 144 Karten für „Open Stage“ verkauft worden seien („Sie sind ja verrückt“). Brunnert, die schon seit mehreren Jahren durch den Abend führt, dankte später vor allem denjenigen Darstellern, die zwar in dieser Saison nicht in Hanau engagiert seien, aber trotzdem das Programm hätten mitgestalten wollen. Dazu gehörten unter anderem Adrian Djokic, der im vergangenen Jahr als „gestiefelter Kater“ das Publikum verzauberte und dafür mehrfach preisgekrönt wurde. In dieser Rolle machte er auch am Montagabend seinem Herzen humorvoll-ernsthaft Luft, prangerte machtgierige Politiker und Kriegstreiber an, ließ sich auch von einem Texthänger und einem penetrant klingelnden Zuschauerhandy nicht aus dem Konzept bringen und hängte am Ende seinen Job als Hofkater kurzerhand an den Nagel. Ebenfalls bekannt aus der vergangenen Saison, nämlich unter anderem als Julias Vater in „Romeo und Julia“: Stephan Bürgi. Schauspielerisch unterstützt von Detlev Nyga nahm er verschiedene Lieder von Udo Jürgens aufs Korn und mischte unerschrocken „Ich war noch niemals in New York“ und „Liebe ohne Leiden“ – natürlich standesgemäß im weißen Anzug. Der österreichische Entertainer hatte es auch Tim Taucher angetan: Als Solist sang er „Ich weiß, was ich will“, im Duett mit seiner „Pas de deux“-Partnerin aus „Romeo und Julia“, Rosa Alice Abruscato, den Song „Halt Dich an mir fest“ von „Revolverheld“. Abruscato hörte man später noch einmal in einem Duett in der deutsch-italienisch-türkischen Variante von „How far I’ll go“ mit ihrer besten Freundin, Schauspielerin Melodi Yurtsever.
Überhaupt, die Musik: Das Ensemble nahm die Zuschauer in den rund drei Stunden mit auf eine musikalische Reise, die facettenreicher kaum hätte sein können. Es gab Musicalmelodien wie „Suddenly Seymour“ (Larissa Grosenick und Joshua Beck), Swing in bester Rat Pack-Manier von Sebastian Smulders (Esel IA in den Bremer Stadtmusikanten) und ruhige Stücke mit Gänsehautpotenzial. Dazu gehörten unter anderem „Dark Times“, gesungen von Marius Schneider (Rabe Jorik Breeden in „Hänsel und Gretel“), „Die schönste Melodie“ mit Alexander Irrgang sowie „Astronaut“, das Josefine Rau (Kikki Rikki in den Bremer Stadtmusikanten) zu Gehör brachte.
Für eine Überraschung sorgte unter anderem Friederike Kury: Sie verpackte ihre Erfahrungen mit Castings in ihrer Eigenkomposition „Audition gone wrong“ und wechselte hier in halsbrecherischem Tempo zwischen Musikstilen und Tonhöhen. Begleitet wurde sie dabei von Malte Bechtold am Klavier. Der musikalische Leiter von „Hänsel und Gretel“ hatte es sich nicht nehmen lassen, seine Proben bei den Bad Vilbeler Burgfestspielen zu unterbrechen, um mit den Hanauer Kolleginnen und Kollegen die „Open Stage“ zu gestalten. Auch für Barbara Bach setzte sich Bechtold an die Tasten: Sie nahm die Zuschauer mit in die Vergangenheit. Im Jahr 1995 nämlich gab sie zum Beginn ihrer Karriere bei den Brüder Grimm Festspielen Hanau, die damals noch Märchenfestspiele hießen und im Schlosspark stattfanden, den Frosch in „Dornröschen“. Aus diesem Musical hörten die Gäste den „Frogsong“, und, na klar, war Barbara Bach in einen grünen „Taucheranzug“ geschlüpft – mit dickem Froschbauch, hellgrüner Badekappe und Taucherbrille. Um die schlafende Prinzessin hinter der Dornenhecke ging es auch im Gedicht „Dornröschen“ (gesprochen mit durchgehendem sch, also wie „wischen“) von Friedhelm Kändler, mit dem Barbara Seeliger die Lacher auf ihrer Seite hatte. Als Rapunzelpflanze „Punz“ gab sie zudem noch mit ihrer Kollegin „Pinz“ (Rosa Abruscato) den launigen Sesamstraßensong „Am liebsten habe ich die Sechs“ zum Besten.
Zu lachen hatte das Publikum auch bei dem Klassiker „Der Lottogewinn“ von Loriot. Bei der berühmten Filmaufnahme mit Hindernissen stellten Benedikt Selzner, Patrick Dollmann, Detlev Nyga und Claudia Brunnert wieder einmal ihr komödiantisches Talent unter Beweis. „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ hieß es hingegen in dem intensiven Schlagabtausch des Schauspieler-Ehepaares Andrea Wolf und Hartmut Volle, die mit ihrem Programm „Die Liebe… und immer wieder die Liebe“ Ende Juni in der Orangerie zu Gast waren. Seine ganz eigene und, im wahrsten Sinne des Wortes, intime Geschichte um eine Zyste an prekärer Stelle erzählte Fabian Baecker schonungslos offen und voller entwaffnender Selbstironie. Schmunzelnd merkte der Darsteller des „Kleinen Mittwoch“ in „Sterntaler“ 2024 zudem an, er habe sich gefühlt wie ein Hochstapler, weil er für die Rolle eines stummen Jungen für den Deutschen Musical Theater Preis nominiert worden sei.
Zwei Team-Mitglieder von „Hinter den Kulissen“ wagten sich in diesem Jahr ins Rampenlicht: Für Zoe Lange aus dem Festspielbüro war es der zweite Auftritt – Moderatorin Claudia Brunnert erinnerte daran, dass die junge Frau im vergangenen Jahr erst spät habe auftreten wollen, damit sie das Publikum nicht sehen musste. Dieses Mal sang sie, begleitet von Sebastian Smulders an der Gitarre, „A million dreams“ aus dem Film „The greatest showman“. Seine „Open Stage“-Premiere feierte Simon Berndt, Praktikant in der Verwaltung, und überraschte vor allem seine Kollegen mit dem rasanten „I’m still standing“ von Elton John. Apropos „rasant“: Mit „Bang Bang“ (Im Original von Ariana Grande, Jessie J, Nicki Minaj) sorgten die stimmgewaltigen Drei, Shireen Nikolic, Melodi Yurtsever und Joshua Beck, für „Feuer unter dem Dach“ des Amphitheaters. Andere Musikrichtung, aber nicht weniger gute Stimmung gab es von Leonie Krieg („Tschick“), die gemeinsam mit ihrem Freund Jonas Rampelt live E-Gitarre spielte und „Hotel Yorba“ von „The White Stripes“ sang. Dass zusätzlich noch eine spontan zusammengewürfelte Tanzcombo aus Schauspielkollegen dazu auf der Bühne tanzte, ließ das Publikum jubeln.
Den Schlusspunkt setzte Regieassistent Jonas Milke („Gereimnisse“) mit einer ganz eigenen Fassung der „Goldenen Gans“, die schließlich alle Darsteller zum Finale auf die Bühne lotste. Liebgewonnene Traditionen soll man bewahren: Auch in diesem Jahr hatte Claudia Brunnert ein Festspiele-Lied getextet. Bei „Unser Sommer“, sehr frei nach Abba, tanzte, klatschte und sang auch das Publikum mit und ging danach beschwingt nach Hause. Ein Abend, der Spaß machte und das bekannte und verborgene Potenzial des Festspiel-Ensembles eindrucksvoll zeigte.
Pressekontakt: Prof. Dr. Jeroen Coppens
Bild: Hanau. Open Stage
© Brüder Grimm Festspiele / Hendrik Nix
Hanau. Open Stage
Bei der Veranstaltung „Open Stage“ können sämtliche Team-Mitglieder der Brüder Grimm Festspiele Hanau im Amphitheater auftreten.
Quelle: Redaktion MKK Echo