Stadtlauf Hanau zugunsten der Frauenhäuser am 19. September – Gespräch mit Michael Schrod, Opferschutzkoordinator der Polizeidirektion Main-Kinzig
Main-Kinzig-Kreis. – Gewalt, gerade häusliche Gewalt, hat viele Gesichter. Sie betrifft Frauen aller Altersgruppen, aller sozialen Schichten. Und sie ist nach wie vor eines der großen Kriminalitätsfelder. Seit dreieinhalb Jahren kümmert sich Kriminalhauptkommissar Michael Schrod als Opferschutzkoordinator der Polizeidirektion Main-Kinzig um solche Fälle – mit dem Ziel, die Betroffenen zu schützen und ihnen Kontakt zu Hilfsorganisationen zu vermitteln. Im Jahr 2024 konnte er in insgesamt 74 Fällen Hilfe vermitteln, bis August 2025 bereits in 86 Fällen.
Anlässlich des 24. Stadtlaufs Hanau am 19. September unter der Schirmherrschaft von Landrat Thorsten Stolz und Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky berichtet der Opferschutzkoordinator über seine Arbeit. Der Grund: Der Erlös des Stadtlaufs unter dem Motto „Stärke zeigen – Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ kommt in vollem Umfang den Frauenhäusern in Hanau und Wächtersbach zugute.
Herr Schrod, Sie sind seit 2021 als Opferschutzkoordinator für den Main-Kinzig-Kreis zuständig. Was bedeutet das genau?
Opferschutzkoordinatorinnen und -koordinatoren sind die Schnittstelle zwischen Polizei, Justiz und Hilfsorganisationen. Wir stellen sicher, dass Opferrechte gewahrt werden, dass Betroffene Beratung und Schutz erhalten. Ich sehe mich als Verbinder, Vermittler und Netzwerker. Die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen und den Frauenhäusern, dem Jugendamt, dem Gesundheitsamt sowie anderen Partnerinnen und Partnern ist dabei ein wesentlicher Baustein. Polizeilicher Opferschutz fußt auf drei Säulen: Gefahrenabwehrmaßnahmen, professioneller Umgang durch geschulte Kolleginnen und Kollegen sowie Informationen über Rechte. Denn: Nur wer seine Rechte kennt, kann von ihnen Gebrauch machen. Um ein Delikt zu verfolgen, müssen die Betroffenen die Bereitschaft haben, eine Aussage zu machen. Einige Maßnahmen sind erst dann möglich.
Wie identifizieren Sie Fälle, die besondere Maßnahmen erfordern?
Jeden Morgen werte ich die Einsatzlagen der Polizeidirektion Main-Kinzig aus. Gibt es Hinweise auf Gefährdungslagen und Sachverhalte, bei denen polizeilicher Opferschutz notwendig sein könnte, nehme ich Kontakt zum zuständigen Kommissariat auf. Ich biete den Betroffenen ein Gespräch an. Binnen 24 Stunden gibt es in der Regel den ersten Kontakt. Dann schaue ich, was zu tun ist – und wie wir Hilfsorganisationen oder Frauenhäusern einbinden können.
Welche Gefahrenabwehrmaßnahmen gibt es?
Einen hundertprozentigen Schutz vor Gewalttaten gibt es nicht. Aber wir können viel tun, damit Betroffene sich sicher und geschützt fühlen. Dazu gehört die Gefährderansprache, also das direkte Gespräch mit dem Täter. Oder Schutzmaßnahmen für Gefährdete, wie die Unterbringung im Frauenhaus oder bei Bekannten. Wir können den Täter in Gewahrsam nehmen. Auch technische Mittel können helfen: etwa eine elektronische Fußfessel oder eine sogenannte GPS-Opfereinheit, die im Notfall auf Knopfdruck eine direkte Telefonverbindung zur Polizei herstellt.
Die Fußfessel ist immer wieder in der Diskussion. Wie bewerten Sie diese?
Die elektronische Fußfessel wird zum überwiegenden Teil bei Sexualtaten und bei Gewalttaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt eingesetzt. Sie soll die Sicherheit der Opfer erhöhen. Noch läuft die Erprobung. Damit sie wirkt, muss die Absprache mit Gerichten schnell erfolgen und die Umsetzung sofort möglich sein. Dann ist sie ein starkes Mittel. Ende August hat das Bundesjustizministerium geplante Änderungen für das Gewaltschutzgesetz vorgestellt. Opfer von häuslicher Gewalt sollen durch den Einsatz elektronischer Fußfesseln künftig besser geschützt werden. Es ist vorgesehen, dass Gerichte künftig die Täter zum Tragen eines solchen Gerätes zur Standortbestimmung verpflichten können.
Wie stellen Sie sicher, dass auch die Polizei vor Ort für Opferschutz sensibilisiert ist?
Neuen Kolleginnen und Kollegen stellen wir regelmäßig unsere Arbeit vor und erklären, warum Opferschutz so wichtig ist. Als ich 2003 meine Ausbildung bei der Polizei begann, steckte Opferschutz noch in den Kinderschuhen. Der Täter stand im Fokus. Heute werden die Opfer viel mehr in den Blick genommen. Betroffene haben Ansprechpersonen in den Polizeidirektionen, die sie mit Hilfsorganisationen oder Frauenhäusern in Kontakt bringen. Diese Organisationen sind eines der Kernstücke des Opferschutzes.
Welche Rolle übernehmen die Hilfsorganisationen?
Eine zentrale. Im Main-Kinzig-Kreis gibt es etwa die Hanauer Hilfe, den Weißen Ring, Lawine, Sprungbrett, Pro Familia sowie die Frauenhäuser in Hanau und Wächtersbach. Ich selbst arbeite eng mit der Hanauer Hilfe und dem Weißen Ring zusammen. Diese Institutionen übernehmen das, was wir nicht leisten können: psychologische Betreuung, Begleitung zu Terminen, Unterstützung bei Anwälten. Meine Aufgabe ist es, die Betroffenen mit diesen Organisationen zusammenzubringen. Ihre Arbeit ist unverzichtbar, denn gerade sie und ihre Angebote sorgen dafür, dass mehr Menschen den Mut haben, Täter anzuzeigen. Die Einrichtungen brauchen meiner Ansicht nach mehr finanzielle Förderung. Der Hanauer Stadtlauf ist eine Veranstaltung, die hier seit langen Jahren viel Gutes leistet. Sie macht auf die Situation von Opfern häuslicher Gewalt aufmerksam und sammelt Spenden, um die Frauenhäuser und deren wichtige Arbeit zu unterstützen.
Welche Hürden erschweren es Betroffenen, Hilfe zu suchen?
Sprachbarrieren, finanzielle Abhängigkeit, Angst vor dem Partner oder davor, wie es nach einer Anzeige weitergeht. Es gibt auch strukturelle Probleme. Insbesondere bei Sexualstraftaten ist die Hemmschwelle für die zumeist weiblichen Opfer so groß, dass sie oft gar nicht den Schritt wagen, eine Polizeidienststelle aufzusuchen. Müssen die Betroffenen dann auch noch den Sachverhalt mehreren Dienststellen schildern, baut dies zusätzlich emotionalen Druck auf. Deshalb habe ich mit den Hilfsorganisationen vereinbart, dass direkt über mich an die Fachdienststellen verwiesen wird und die Ebene der Schutzpolizei vor Ort ausgespart wird.
Können Sie ein Beispiel aus Ihrem Berufsalltag schildern?
Vor kurzem meldete sich eine Frau, die sich von ihrem Partner getrennt hatte. Er drohte ihr danach mit einem Messer. Sie konnte mit ihrem Kind nicht mehr in die Wohnung zurück, die Gefahr für Leib und Leben war zu groß. Da sie nicht einsehen wollte, dass es besser für sie wäre, in einem Frauenhaus in einiger Entfernung von ihrem Wohnort unterzukommen und Abstand zu haben, habe ich vermittelt, dass sie vorübergehend bei Bekannten unterkommt. Parallel dazu gab es eine Gefährderansprache. Der Gefährder hat dabei zu verstehen gegeben, sich an die polizeilichen Weisungen halten zu wollen. Nach etwa einer Woche habe ich bei der zuständigen Polizeistation nachgefragt, ob er versucht hat, Kontakt aufzunehmen. Hatte er nicht.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Mehr finanzielle Unterstützung für Hilfsorganisationen und Frauenhäuser. Sie sind es, die Betroffenen auffangen, begleiten, stützen, unterstützen. Und auch wir als Polizei müssen beim Thema Opferschutz weiter am Ball bleiben. Ich wünsche mir, dass Opferschutz in der Polizei weiter so ernst genommen wird. Dazu finden aktuell Umstrukturierungen innerhalb der Polizeidirektion Main-Kinzig statt. Schutzmänner und Schutzfrauen vor Ort machen mehrwöchige Hospitanzen bei uns, um für das Thema noch stärker sensibilisiert zu werden. Ziel ist, dass jede Dienststelle kompetente Ansprechpersonen vor Ort hat. Opfer von Gewalt dürfen nicht allein gelassen werden. Unsere Aufgabe ist es, Menschen zu schützen und gemeinsam Lösungen zu finden.
Bildunterschrift: „Wir können viel tun, damit Betroffene sich sicher und geschützt fühlen“: Michael Schrod.
Quelle: Redaktion MKK Echo