Angeregte Diskussionen zu einem brandaktuellen Thema bei Konferenz der Partnerschaft für Demokratie des Main-Kinzig-Kreises
Main-Kinzig-Kreis. – Verschwörungserzählungen, Rückzugsräume für rechtsextreme Parallelwelten, „Fake-News“, islamistische Extremisten, Queerfeindlichkeit, Rassismus, Frauenhass: Das Internet, ohne das unsere Gesellschaft nicht mehr funktionieren würde, steckt auch voller Gefahren. Die Partnerschaft für Demokratie „Vielfalt demokratisch leben!“ des Main-Kinzig-Kreises hatte mit ihrer dritten Demokratiekonferenz einen Nerv getroffen: „Hass und Hetze im Netz“ lautete das Thema. Moderator Steffen Behme, Koordinierungs- und Fachstelle der Partnerschaft für Demokratie, blickte hocherfreut in die vollen Sitzreihen des Hörsaals im Bildungshaus Main-Kinzig in Gelnhausen. Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verwaltung, engagierter Zivilgesellschaft und interessierter Öffentlichkeit hatten sich zahlreich eingefunden.
Kreisbeigeordneter Jannik Marquart eröffnete die Demokratiekonferenz, nachdem er zunächst die von Steffen Behme symbolhaft zum Einsturz gebrachte „Demokratiebrücke“ gemeinsam mit ihm wieder aufbaute. Behme hatte einzelne Brückenelemente wie Menschenwürde, Teilhabe oder Dialog zuvor herausgeboxt, um klarzumachen, wie wichtig jedes dieser Elemente ist, damit die Demokratie stabil bleibt. Jannik Marquart beschrieb die Gefahren digitaler Angriffe, Anfeindungen und Gewaltandrohungen. „Wenn Hass und Hetze Menschen zum Schweigen bringen, wenn sie Angst haben, ihre Meinung zu äußern, ist das Fundament der demokratischen Grundordnung gefährdet“, sagte der Kreisbeigeordnete. „Es geht darum, andere Meinungen auszuhalten. Kritik muss im Rahmen eines respektvollen Miteinanders bleiben.“ Die Demokratiekonferenz diene der Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure, die sich austauschen und gegenseitig in ihrer Arbeit bestärken können, so Marquart. Er lud alle Teilnehmenden ein, gemeinsam neue Ideen und Lösungsansätze zu diskutieren, um die Demokratie weiterzuentwickeln und zu verteidigen.
Im ersten Impulsvortrag ging Benedikt Friedrich vom Zentrum für Liberale Moderne (LibMod) auf die Gefahren abgeschotteter Meinungsräume im Internet ein. Das Projekt „Narrativ-Check“ des Thinktanks LibMod entwickelt Handreichungen zu radikalisierenden Inhalten in sozialen Netzwerken oder Messenger-Diensten. Friedrich stellte die gängigsten Methoden der Desinformation vor, die unter dem Kürzel „PLURV“ zusammengefasst werden. P wie Pseudo-Experten, die Meinungen konträr zum Stand der Forschung vertreten. L wie logische Trugschlüsse, also Argumentationen, die aus Tatsachen falsche Schlüsse ziehen oder sich als unlogisch oder falsch erweisen. U wie unerfüllbare Erwartungen, eine Strategie, die zum Beispiel Kritik an pseudomedizinischen Behauptungen dadurch abwehrt, dass die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien ausgeblendet werden. Sie seien nur ein Beleg dafür, dass es noch mehr Forschung brauche, bis die Evidenz etwa von esoterischen Behandlungsmethoden erwiesen sei. Doch die Erwartungshaltung, dass 100 Prozent aller Forschenden zu einem Thema derselben Meinung sein müssten, ist schlicht unrealistisch. R steht für Rosinenpickerei, die nur anerkennt, was der eigenen Argumentation entspricht. V schließlich steht für Verschwörungserzählungen, die bar jeglicher faktischer Grundlage auf der Unterstellung böser Machenschaften im Geheimen basieren, die kaum widerlegt werden können. Als Beispiele für Parallelwelten, die mit solchen Strategien der Manipulation arbeiten, nannte Friedrich die Reichsbürger- oder die Coronaleugner-Szene. In solchen Informationsräumen ohne Widerspruch gedeihen Feindbilder und Verschwörungsdenken bis hin zu realer Gewalt.
Leonie Kriegel von jugendschutz.net, einem Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet, ging darauf ein, wie Extremisten die digitale und übers Internet miteinander verbundene Spielwelt und „Influencing“ nutzen, um ihre radikalen Inhalte zu verbreiten. So docken Rechtsextremisten mit verhetzenden Inhalten an die Lebenswelten der Jugendlichen an und produzieren selbst Spiele wie „The Great Rebellion“ mit queerfeindlichen, antisemitischen, weltverschwörerischen Inhalten. Sie versehen ihre Memes und Videos mit Gaming-Ästhetiken, verbreiten verfassungswidrige Symbole und nutzen etablierte Gaming-Infrastrukturen, um sich mit anderen Verfassungsfeinden zu vernetzen. Insbesondere Rechtsextremisten treten selbst als Influencerinnen und Influencer auf, als prominentes Beispiel wurde Brittany Sellner genannt, die Frau des Identitären Martin Sellner.
In der anschließenden Fragerunde wurde angesprochen, wie etwa queerfeindlichen Äußerungen im Netz zu begegnen sei, die zwar beleidigend und diffamierend, aber nicht rechtlich verboten sind, weil sie noch unter die freie Meinungsäußerung fallen. Benedikt Friedrich riet, auch im digitalen Raum klare Kante zu zeigen und solche Beiträge nicht unwidersprochen stehen zu lassen. Im Gespräch mit Verfassungsfeinden solle man sich zuerst klarmachen, was das Ziel der eigenen Antwort sei. „Sie werden eine Person, die in Verschwörungserzählungen abgetaucht ist, nicht umstimmen, aber sie können versuchen, Gesprächskanäle offenzuhalten“, so Friedrich. Im Netzwerkcafé, wo Initiativen und Institutionen Infomaterial bereitstellten, gingen die Diskussionen weiter und es wurden Kontakte geknüpft und vertieft.
Bildunterschrift: Im Netzwerkcafé (von links) Alexander Wicker (Bildungspartner Main-Kinzig), Kreisbeigeordneter Jannik Marquart, Steffen Behme (Fach- und Koordinierungsstelle der Partnerschaft für Demokratie), Leonie Kriegel (jugendschutz.net) und Benedikt Friedrich (Zentrum für Liberale Moderne).
Quelle: Redaktion MKK Echo