Sonntag, November 2, 2025
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Ein Bibelforscher aus Salmünster erduldete Haft in sieben Konzentrationslagern im NS-Regime

Salmünster/ Büdingen – Obwohl er einer verhältnismässig kleinen Religionsgemeinschaft angehörte wurde er von den Nationalsozialisten grausam verfolgt. Ernst Schwalm, geb. am 10. April 1900 in Cronenberg wurde als Bibelforscher, wie Jehovas Zeugen damals noch genannt wurden, zu mehreren Gefängnisstrafen verurteilt. Danach wurde er in sieben Konzentrationslager eingewiesen: Buchenwald, Maidanek, Lublin, Auschwitz, Mauthausen, Melk und Ebensee am Traunsee. Insgesamt waren das acht Jahre seines Lebens. Dazu musste er noch drei Todesmärsche von etwa 170 bis 200 Kilometern überstehen, insgesamt über 500 Kilometer.
Wie kam es aber zu seiner Verhaftung und warum war diese Religionsgemeinschaft den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge?
Zu der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas bekannten sich 1933 rund 25.000 Personen. Unmittelbar nach der Machtergreifung Adolf Hitlers rückten sie in den Blickpunkt der Nationalsozialisten. So wurden nach und nach im Deutschen Reich Verbote ausgesprochen. Diese wurden aber nicht beachtet, da die Bibelforscher glaubten, Gott mehr gehorchen zu müssen, als dem Staat. Dies führte dazu, dass sie in Schutzhaft genommen und meist gleich danach in Konzentrationslager eingewiesen wurden. In den Konzentrationslagern wurde ihr Briefwechsel streng überwacht.

Weder gnadenlose Verfolgung noch Todesgefahr vermochten ihre Standhaftigkeit und Loyalität gegenüber ihrem Glauben zu brechen. Sie wider-setzten sich kompromisslos der Gleichschaltung eines menschenverachtenden Systems. So kam das übliche „Heil Hitler!“ nicht über ihre Lippen. Auch rassisches Vorherrschaftsdenken war ihnen fremd. Für sie galt das in der Bibel festgelegte Gesetz, nämlich die Liebe zu Gott und zu ihren Mitmenschen. Außerdem waren Jehovas Zeugen politisch streng neutral und leisteten deshalb auch keinen Treueeid auf den Staat.
Historiker nennen drei Hauptpunkte der NS-Ideologie Adolf Hitlers: Rassische Reinheit und Überlegenheit der Deutschen, den Nationalismus, der das Ziel hatte, die Macht und den Einfluss Deutschlands in der Welt auszuweiten und das Führerprinzip. Alle drei Punkte konnten Jehovas Zeugen nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Daraus ergab sich zwangsläufig eine Konfrontation mit dem NS-Regime, die in gnadenloser und grausamster Verfolgung endete.

Geneviève de Gaulle, eine Nichte des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle, schrieb über die Zeuginnen Jehovas im nationalsozialistischen Konzentrationslager Ravensbrück folgendes: „Alle legten den Beweis sehr großen Mutes ab, was schließlich auch auf die SS Eindruck machte. Sie würden auf der Stelle die Freiheit erlangt haben, wenn sie ihrem Glauben abgeschworen hätten; sie wurden aber nicht müde zu widerstehen, ja es gelang ihnen sogar, etwas von ihren Büchern und Traktaten ins Lager zu bekommen, woraufhin einige von ihnen den Tod durch Erhängen fanden.“ Eugen Kogon schreibt in seinem Buch Der SS-Staat: „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die SS psychologisch mit dem Problem der Bibelforscher [Zeugen Jehovas] nicht ganz fertig wurde“ (Seite 260). Und Professor Ebenstein von der Universität Princeton erklärte: „Was die Zeugen Jehovas in den Lagern durchmachen mussten, war schlimmer als das, was die Juden, Pazifisten und Kommunisten auszustehen hatten. So klein, wie die Sekte ist, scheint doch jedes Glied eine Festung zu sein, die zwar vernichtet, aber niemals eingenommen werden kann“ (The Nazi State).

In diesem politischen Klima musste auch Ernst Schwalm leben. Auch nach dem Verbot der „Internationalen Bibelforschervereinigung“ (IBV) bezog er regelmäßig deren Schriften und stand in Kontakt zu Glaubensbrüdern. Dies führte dazu, dass die Ausübung seines Berufes „unterbunden“ wurde, wie er selbst nach 1945 angab. Im September 1936 fuhr Ernst Schwalm zu einem Kongress der Zeugen Jehovas in die Schweiz, auf dem eine Protestresolution gegen das brutale Vorgehen der deutschen Regierung gegen die Glaubensangehörigen angenommen wurde. Es mag auch sein, dass Schwalm an der reichsweiten Verteilung der sogenannten „Luzerner Kongressresolution“ am 12. Dezember 1936 teilgenommen hat. Fest steht, dass es nur drei Tage später, nachts um 3.30 Uhr, in seiner Wohnung zu einer Hausdurchsuchung kam, bei der unter anderem Exemplare der verbotenen Zeitschrift „Das Goldene Zeitalter“ entdeckt wurden. Dies war Grund genug, Ernst Schwalm zu verhaften. Ab dem 6. Januar 1937 befand er sich im Gerichtsgefängnis Hanau in Haft. Später überstellte man ihn als Untersuchungshäftling in das Gerichtsgefängnis Kassel. Am 10. März 1937 verurteilte ihn das Sondergericht Kassel wegen illegaler Betätigung für die IBV sowie wegen Übertretung der Verordnung vom 28. Februar 1933 des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“.

Am 9. August 1937 schrieb Ernst Schwalm aus der Strafanstalt in Frankfurt-Preungesheim in einem Brief an Reichsminister Dr. Goebbels in Berlin: „Veranlassung zu diesem Schreiben gibt mir Ihr Vortrag in der Deutschlandhalle, und ihre Äußerung von Ihrem Gebet. Merkwürdig dabei ist, dass mein Gebet das gleiche ist wie Ihres…Walte Gott, mein Schreiben würde Ihnen etwas Tröstliches bringen. Obwohl ich, durch eine staatliche Maßnahme betroffen, Gefangener wurde, so war ich nicht, noch werde ich mit Hass erfüllt. Meine Liebe zu Gott und den Menschen ist dadurch nur größer, noch tiefer geworden. Beim Überblicken all dieser Gedanken bin ich gegen Gott den Herrn voll Dank. Er hat alles dieses in mein Herz gegeben, Ihnen zu schreiben. Sollte dieses mit eine Antwort sein auf Ihre Gebete?“ (Unterschrift Ernst Schwalm.)
Ähnlich lautende Schreiben erhielten auch Reichskanzler Adolf Hitler sowie der Oberstaatsanwalt am Sondergericht Kassel.

Nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager kehrte Ernst Schwalm nach Salmünster, wo er nach seiner Heirat wohnte, zu seiner Frau Emmy und den Kinder Ernst-Daniel und Hanne-Ruth zurück und nahm seine Tätigkeit als Heilpraktiker wieder auf. Von 1956 bis 1965 unterhielt er auch eine Praxis in Büdingen, Schlossplatz 4, wodurch er vielen Einwohnern der Stadt Büdingen bekannt wurde. Am 15. Oktober 1978 starb Ernst Schwalm.
Am 14. September 2022 wurde für Ernst Schwalm ein Stolperstein verlegt. Er befindet sich vor seiner damaligen Praxis in Büdingen, Am Schloss-platz 4.

Hans-Joachim Schalies, Kurator der Wanderausstellung „Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime“ 2004 im hessischen Büdingen, hat die Lebensgeschichte von Ernst Schwalm auch in seinem Buch „…damit ihr künftigen Generationen davon erzählen könnt“ niedergeschrieben.

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Quelle: Hans-Joachim Schalies

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