Ein unerschütterlicher Wille, der jedes Hindernis zu überwinden vermag – diese Eigenschaft zeichnet Nathalie Klingbeil mehr aus, als alles andere. Die 42-Jährige ist von Geburt an massiv gesundheitlich beeinträchtigt und auf einen elektrischen Rollstuhl angewiesen. Entsprechend ist ihr Leben von zahlreichen Herausforderungen geprägt. Jede Treppenstufe, jede Borsteinkante, jede zu schmale Tür werden zur Barriere. Unter diesen Voraussetzungen ins Berufsleben einzusteigen lässt sich mit dem Wort „schwierig“ nur unzulänglich beschreiben. Es war für Nathalie Klingbeil fast unmöglich. 15 Jahre lang versuchte sie einen Arbeitgeber zu finden, der ihr Potenzial erkennt, ihr eine leidensgerechte Ausstattung ermöglicht und ihr eine echte Chance auf berufliche Teilhabe eröffnet.
Mit Hilfe der Fachstelle Sozialer Arbeitsmarkt (SAM) des Kommunalen Centers für Arbeit (KCA) gelang ihr schließlich das vermeintlich Unmögliche. Die Stadt Bad Orb bot ihr ein Praktikum in der Flüchtlingsbetreuung des Asyl- und Integrationsfachdienstes an und das resultierte binnen weniger Wochen in einer Festanstellung. Vom ersten Tag an überzeugte Frau Klingbeil mit ihrer großen Begeisterung. In Windeseile erschloss sie sich das neue Aufgabengebiet. Dazu zählt es, Geflüchteten Fragen rund um Wohnraum und Unterkunft zu beantworten, Rechnungen zu kontieren und zu überprüfen und ihren Kollegen Mirja Jacobsen und Martin Lessmann zuzuarbeiten. Menschen aus Syrien und Somalia, aus der Türkei und aus Afghanistan stehen täglich mit ihr im Kontakt. Von Anfang erwies sich die Stadt Bad Orb als außergewöhnlich engagierter und sozial verantwortungsbewusster Arbeitgeber. Noch während der Praktikumsphase veranlasste Bad Orbs Bürgermeister Tobias Weisbecker mit maßgeblicher Unterstützung der König-Ludwig-Stiftung, den Umbau der bestehenden, jedoch unzureichenden barrierefreien Toilette. Das Team um Mirja Jacobsen empfing ihre neue Kollegin in jeglicher Hinsicht mit offenen Armen.
Die Solidarität, Kollegialität und inzwischen auch Freundschaft endet nicht an der Rathaustür. Bürgermeister Weisbecker setzte sich persönlich dafür ein, dass seine Mitarbeiterin eine frei gewordene, barrierefreie Wohnung beziehen konnte, die unmittelbar gegenüber ihrem Arbeitsplatz liegt. Sie war damit unabhängig von einem Fahrdienst und der Arbeitsweg war für sie erstmals sehr viel müheloser zu bewältigen. Mehr noch – die Kolleginnen und Kollegen stemmten mit vereinten Kräften den Umzug, schleppten Kisten, räumten Regale ein und sorgten für die Verpflegung. Von so viel Gemeinschaftsgefühl zeigt sich der Rathauschef begeistert: „Frau Klingbeil ist aus unserer Belegschaft nicht mehr weg zu denken, sie hat sich in jeglicher Hinsicht zu einer wertvollen Stütze in der Verwaltung der Kurstadt Bad Orb entwickelt – fachlich und menschlich gleichermaßen“, so Weisbecker, der gerne andere Arbeitgeber ermutigen möchte, mögliche Vorbehalte zu überwinden, wenn es darum geht, jemanden mit gesundheitlichen Einschränkungen einzustellen. „Arbeit ist ein Menschenrecht – wir können es uns als Gesellschaft gar nicht erlauben, so motivierte Menschen wie Frau Klingbeil nicht beruflich teilhaben zu lassen. Wer so ein herauforderndes Leben meistert, der bringt wertvolle Fähigkeiten mit, von denen jedes Unternehmen nur profitieren kann!“
Möglich gemacht hat diese Erfolgsgeschichte nicht zuletzt das SAM-Team des KCA. So begleiteten die SAM-Coaches Ruzica Hussong und Jolanta Dedio Nathalie Klingbeil engmaschig bei ihrem Weg in den Arbeitsmarkt. „Meine Coaches haben immer an mich geglaubt und mir auch immer wieder neuen Mut gemacht, wenn ich mal einen mentalen Durchhänger hatte – alleine würden man irgendwann aufgeben“, so Nathalie Klingbeil. „Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir Menschen wie Frau Klingbeil den Weg mit unserem Coaching und unserer finanziellen Förderung ebnen können,“ freut sich Corinna Geßinger, im KCA-Vorstand unter anderem zuständig für Markt und Integration. „Diese Geschichte erfüllt uns selbst mit Demut aber auch mit großer Dankbarkeit gegenüber der Stadtverwaltung Bad Orb – ein solches Maß an Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt erleben wir als Jobcenter wirklich nicht alle Tage!“
„Geht nicht, gibt’s nicht!“ lautet das Motto von Nathalie Klingbeil. Konsequent arbeitet sie mit Unterstützung ihres Teams und ihrer Coaches daran, ihre Situation stetig zu verbessern. Einen neuen elektrischen Rollstuhl mit Aufstehfunktion hat sie beim Versorgungsamt beantragt, damit könne sie dann den Gemeinschaftsdrucker bedienen und die Aktenregale erreichen meint sie lächelnd. „Nathalie sieht einfach Dinge, die uns überhaupt nicht auffallen – das ist unschätzbar wertvoll etwa wenn es um Bürgerinnen und Bürger geht, die selbst gesundheitlich beeinträchtigt sind“, betont Teamleiterin Mirja Jacobsen. Wenn etwa ein Geflüchteter im Rollstuhl auf Nathalie Klingbeil treffe, könne man den motivierenden Effekt gar nicht hoch genug bewerten. „Ein Betroffener sieht dann, was man schaffen kann, welche Möglichkeiten und Chancen es in Deutschland gibt – das ist fantastisch“, freut sie sich. Ihr selbst und ihrem Team falle die Beeinträchtigung ihrer Kollegin inzwischen überhaupt nicht mehr auf. Es sei ein Miteinander auf absoluter Augenhöhe: „Den Rollstuhl sieht hier niemand mehr.“
BU: (v.l.) Teamleiterin Mirja Jacobsen, SAM-Coach Jolanta Dedio und Nathalie Klingbeil
Quelle: Redaktion MKK Echo