Zweite Auflage: Buch beleuchtet unerforschtes Kapitel der Nachkriegszeit
Mit der zweiten, wesentlich erweiterten Auflage des Buches „Die UNRRA in Hanau 1945–1947“ liegt eine vertiefte Dokumentation eines bislang wenig erforschten Kapitels der Hanauer Nachkriegsgeschichte vor. Herausgegeben vom Fachbereich Kultur, Stadtidentität und Internationale Beziehungen beleuchtet die Publikation das Leben im Displaced-Persons-Lager und rückt insbesondere die litauische Gemeinschaft in den Fokus.
Autorin ist die Hanauer Historikerin und Studiendirektorin i. R. Dr. Alice Noll, die bereits 2021 gemeinsam mit dem Fachbereich die erste Auflage des Buches mit den Tagebuchaufzeichnungen von Harry Heath veröffentlicht hatte. Heath war freiwilliger Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisation UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) und leitete von April 1945 bis Juni 1947 in der Francois-, Hutier-, Ulanen- und Hessen-Homburg-Kaserne das Hanauer Lager der sogenannten „Displaced Persons“ – Zivilpersonen, die sich kriegsbedingt außerhalb ihres Heimatlandes aufhielten. Seine Aufzeichnungen schildern eindrucksvoll die Lebensumstände der von den Alliierten befreiten Menschen und die Herausforderungen der Lagerverwaltung in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Die nun vorliegende zweite Auflage erweitert den Blick: Mit der Ankunft baltischer Flüchtlinge sowie verfolgter Jüdinnen und Juden aus Osteuropa veränderte sich das Lagerleben grundlegend. Die ursprünglich als kurzfristige Sammelstellen gedachten Kasernen entwickelten sich zu langfristigen Aufenthaltsorten für Menschen, deren Zukunft von Unsicherheit geprägt war. Anfang 1946 lebten rund 6.000 Balten im Hanauer Camp, darunter nahezu 4.000 Litauerinnen und Litauer – viele von ihnen Vertreterinnen und Vertreter der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Elite ihres Landes.
„Das Buch zeigt eindrucksvoll, dass Hanau in der Nachkriegszeit ein bedeutender Ort internationaler Geschichte war“, betont Oberbürgermeister Claus Kaminsky. „Gerade die Rolle Hanaus als Zentrum der litauischen Exilgemeinschaft in der amerikanischen Zone ist ein Aspekt, der bislang kaum im öffentlichen Bewusstsein verankert war.“
Die geflüchteten Menschen aus Litauen, Estland und Lettland weigerten sich, in ihre von der Roten Armee besetzten Heimatländer zurückzukehren. Sie engagierten sich stattdessen aus dem Exil heraus für die Wiederherstellung ihrer nationalen Unabhängigkeit. In Hanau entstanden neue Organisationen, Berufsverbände und verbindliche Strukturen für den Zusammenhalt der Litauer außerhalb ihrer Heimat. Hochrangige Persönlichkeiten wie der frühere litauische Staatspräsident Kazis Grinius und ehemalige Kabinettsmitglieder lebten zeitweise im Hanauer Camp und machten von hier aus auf internationaler Ebene auf die Lage der Balten aufmerksam.
„Dr. Alice Noll gelingt es, die große Weltpolitik mit dem konkreten Lageralltag vor Ort zu verbinden“, so Martin Hoppe, Leiter des Fachbereichs Kultur, Stadtidentität und Internationale Beziehungen. „Damit wird sichtbar, wie eng globale Entscheidungen und das tägliche Leben der Menschen in Hanau miteinander verwoben waren.“
Neben der politischen und gesellschaftlichen Dimension widmet sich das reich bebilderte Buch auch dem kulturellen Alltag im Lager sowie dem bis heute sichtbaren Zeugnis dieser Zeit: einem 1947 errichteten gemauerten Sockel mit Inschrift auf dem Gelände der ehemaligen Francois-Kaserne am Ulanenplatz, heute vor dem Gebäude der Volkshochschule. Er erinnert an die Existenz der litauischen Gemeinschaft in Hanau und bildet einen wichtigen Bezugspunkt zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Die Publikation umfasst 220 Seiten und ist unter der ISBN 978-3-948834-03-6 im Buchhandel sowie über den Fachbereich Kultur per Mail unter kultur@hanau.de zum Preis von 14,80 Euro erhältlich.
Pressekontakt: Julia Oppenländer
Bild: Buch über die litauische Elite im Hanauer Displaced-Persons-Lager
© Stadt Hanau / Martin Hoppe
Der Gedenkstein der Litauische Gemeinde am Ulanenplatz in Hanau.
https://www.presse-service.de/data.aspx/static/?ID=1205695.html
Quelle: Redaktion MKK Echo

