Dienstag, November 18, 2025
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„Offenbarungseid der Stadt zeigt nur die halbe Wahrheit – Politik kann die Gesetze der Wirtschaftlichkeit nicht außer Kraft setzen“

Die jüngsten Verlautbarungen der Stadt Nidderau zur Haushaltslage vermitteln den Eindruck, als sei das finanzielle Desaster im Wesentlichen eine Folge zu großer Investitionspläne. Dieser Fokus auf das Investitionsprogramm ist jedoch nur ein kleiner Teil der Wahrheit – und verdeckt das eigentliche Problem, das unsere Stadt seit Jahren in die finanzielle Schieflage führt: die strukturelle Unterdeckung des Verwaltungshaushalts.

1. Das eigentliche Kernproblem liegt im laufenden Haushalt – nicht bei den Investitionen
Nach der aktuellen Haushaltsplanung nimmt Nidderau aus Steuern, Gebühren und Zuweisungen rund 3,3 Millionen Euro weniger ein, als für Personal, Pflichtaufgaben, Energie, Instandhaltung und Betriebsabläufe benötigt wird. Es handelt sich nicht um ein kurzfristiges Loch, sondern um ein strukturelles Defizit, das jedes Jahr wächst und sich kumuliert.

Solange diese Lücke nicht geschlossen wird, fehlt der Stadt die Basis, um
– Zins und Tilgung bestehender Kredite zu bedienen,
– und neue Kredite für notwendige Investitionen aufnehmen zu können.
Um die finanzielle Handlungsfähigkeit herzustellen, wäre nach Berechnungen eines internen Vermerks ein Jahresüberschuss von mindestens 2,6 Millionen Euro notwendig. Tatsächlich liegt Nidderau jedoch 5,9 Millionen Euro unter diesem Ziel – eine dramatische Differenz, die nicht durch kosmetische Maßnahmen oder Einsparungen bei Projekten ausgeglichen werden kann.

2. Investitionsstreichungen ändern am Grundproblem nichts
Es ist fachlich korrekt: Werden Investitionen gestrichen, sinkt der Bedarf an neuen Krediten. Doch das entlastet die Stadt nur marginal, weil Investitionen typischerweise über langfristige Kredite finanziert werden, deren Zins- und Tilgungsraten selbst dann tragbar wären – wenn der Verwaltungshaushalt solide wäre.
Genau das ist aber nicht der Fall.
Die Stadt ist nicht wegen einzelner Sportstätten, Feuerwehrgebäude oder Straßenbauprojekte liquiditätsgefährdet, sondern weil die laufenden Einnahmen die laufenden Ausgaben seit Jahren nicht decken.
Das Investitionsprogramm wirkt deshalb nur wie der sichtbare Teil des Eisbergs.
Der gefährliche Teil liegt unter der Oberfläche – im strukturellen Defizit.

3. Die offizielle Darstellung ist unvollständig und damit irreführend
Wenn in Mitteilungen aus dem Rathaus der Eindruck entsteht, das Problem liege vorrangig in der Höhe der Investitionen, führt das die öffentliche Diskussion in eine Sackgasse. Bürgerinnen und Bürger müssen verstehen können, warum unsere Stadt in einer so kritischen Lage ist – und welche Mechanismen der Kommunalaufsicht greifen.
Es ist nicht das Investitionsprogramm allein, das Nidderau in Schwierigkeiten bringt, sondern das fehlende wirtschaftliche Gleichgewicht im Verwaltungshaushalt.
Wer dieses Problem verschweigt oder klein redet, trägt nicht zu einer ehrlichen Aufarbeitung bei.

4. Was tatsächlich notwendig wäre
Die Kommunalaufsicht kann keine Haushalte genehmigen, die dauerhaft auf Kante genäht sind. Die Stadt Nidderau wird deshalb – ob sie es will oder nicht – über folgende Punkte sprechen müssen:

1) Ausgabenkürzungen im Verwaltungsbereich
– Einstellungsstopp für Personal
– Überprüfung freiwilliger Leistungen
– effizientere Organisationsstrukturen
– Verzicht auf nicht zwingend notwendige Ausgabeposten

2) Erhöhung von Einnahmen
– moderate Anpassungen von Gebühren
– Überprüfung der Grundsteuer
– Überprüfung der Gewerbesteuer
– bessere Nutzung städtischer Liegenschaften
Diese Maßnahmen mögen unpopulär sein, sind aber kommunalrechtlich unvermeidlich.

3) Neupriorisierung kommunaler Aufgaben
– Welche Aufgaben muss die Stadt zwingend übernehmen?
– Welche könnten in Kooperation mit Vereinen oder Dritten effizienter erbracht werden?
– Welche Projekte sind wichtig – und welche nur „nice to have“?

Ohne strukturelle Reformen bleibt die Haushaltslage auf Dauer instabil – ganz unabhängig davon, ob einzelne Investitionen verschoben oder gestrichen werden. Solche Streichungen können höchstens den Schwelbrand abdecken, aber nicht den Brandherd löschen.

5. Ehrlichkeit statt Schönfärberei
Der von der Stadt kommunizierte „Offenbarungseid“ zeigt leider nur die halbe Wahrheit.
Wer die Öffentlichkeit über den wahren Grund der Krise – die dauerhafte strukturelle Unterfinanzierung – im Unklaren lässt, verhindert eine sachliche Diskussion.
Nidderau braucht keine politischen Beruhigungstabletten.
Die Stadt braucht eine ehrliche Analyse und mutige Entscheidungen, bevor die Kommunalaufsicht sie erzwingt.

Die Finanzkrise Nidderaus ist kein Betriebsunfall und keine Folge eines zu großen Investitionsprogramms. Sie ist das Ergebnis eines Verwaltungshaushalts, der Jahr für Jahr mehr ausgibt als er einnimmt – und das in einer Größenordnung, die die Eigenfinanzierungskraft der Stadt vollständig übersteigt.
Solange dieses strukturelle Defizit nicht behoben wird, bleibt Nidderau finanziell auf wackligen Beinen.
Und kein noch so kleines oder großes Streichprogramm bei Investitionen wird daran etwas ändern.

Winfried Wagner

Dies ist ein Leserbrief. Er gibt ausschließlich die Meinung des Verfassers wieder; das MKK-Echo macht sich diese Inhalte nicht zu eigen.

 

Quelle: Redaktion MKK Echo

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