Freitag, November 14, 2025
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In eine geregelte palliative Betreuung übergeben

Rettungsdienst im Main-Kinzig-Kreis kooperiert mit Palliativmedizin: Gute Erfahrungen in rund 50 Einsätzen gesammelt

Main-Kinzig-Kreis. – In eine solche Situation gerät der Rettungsdienst im Main-Kinzig-Kreis öfter als man vermuten würde: Während eines Einsatzes in einer Privatwohnung stellen das Team des Rettungsdienstes und die zu Rate gezogenen Notärzte gemeinsam fest, dass die betroffene Person nicht akut „notfallmedizinisch“ behandlungsbedürftig ist, aber auch nicht sich selbst überlassen werden kann. Eigentlich müsste sie jetzt in ein Krankenhaus gebracht werden, hat aber wegen einer unheilbaren Krankheit im fortgeschrittenen Stadium nur noch eine begrenzte Zeit zu leben. Soll die Person dennoch ins Krankenhaus eingeliefert werden? Oder ist es nicht der Wunsch des betroffenen Menschen, selbstbestimmt und in Würde im häuslichen Umfeld zu bleiben, wo doch der Tod vielleicht absehbar bevorsteht? Woher bekommt die Familie dafür die professionelle palliative Betreuung?

Jan Schubert, Ärztlicher Leiter des Palliativteams Hanau, kann in dieser Notsituation mit seinem multiprofessionellen Team für den Patienten und seine Angehörigen das notwendige Palliativnetz spannen. „Die Palliativmedizin ist eigentlich keine notfallmedizinische Versorgung. Sie ist vielmehr eine aktive und ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer unheilbar fortschreitenden Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung“, erläutert Schubert. Die Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Krankheitsbeschwerden sowie psychische, soziale und spirituelle Probleme treten in den Vordergrund. „Palliativmedizin bejaht das Leben und akzeptiert das Sterben als normalen Prozess. Sie will den Tod weder beschleunigen noch hinauszögern. Dennoch ist es nun durch die kreisweite Kooperation möglich, die der Rettungsdienst mit dem Palliativteam Hanau seit dem vergangenen Jahr pflegt, diese wichtige Entscheidungslücke zwischen Notfall- und Palliativmedizin zu füllen“, so Schubert.

Konkret haben die Teams der Rettungswagen seit November 2024 die Möglichkeit, das Palliativteam Hanau zu verständigen, wenn ein Fall dieser Art eintritt. „Diese Kooperation ist eine spürbare Entlastung im System. Natürlich reduziert es zu einem kleinen Teil auch den Aufwand für Krankenhäuser und Rettungsdienst. Viel wichtiger für alle ist aber, dass den Familien eine große Last von den Schultern genommen wird“, erklärt Dr. Manuel Wilhelm, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst im Main-Kinzig-Kreis. „Sie haben in einer solchen Ausnahmesituation die Chance, von ihren Angehörigen im gewohnten privaten Umfeld Abschied zu nehmen und damit dessen innigen Wunsch zu erfüllen.“

Das bestätigt auch die Palliativmedizinerin Dr. Maria Haas-Weber. „Die Haupt- und Ehrenamtlichen aus der Palliativarbeit wissen, worauf es in solchen Situationen ankommt und gehen auf die Menschen und ihre Bedürfnisse ein. Sie sind gut vernetzt und bauen vor Ort eine gute palliative Betreuung auf, ganz gleich, ob schon vorher Kontakte zum Palliativteam bestanden haben“, sagt sie. „Für die Betroffenen und die Angehörigen handelt es sich oft um eine dramatische familiäre Lage mit existenziellen Fragen. Wir lassen sie damit nicht allein.“

Dr. Manuel Wilhelm vom Amt für Gesundheit und Gefahrenabwehr und Dr. Maria Haas-Weber, zugleich Vorsitzende des Fördervereins Palliative Patienten-Hilfe Hanau (PPH), bilden gemeinsam mit Dr. Florian Unbehaun (Chefarzt im Klinikum Hanau, PPH-Mitglied), Dr. David Michelmann (niedergelassener Palliativmediziner) sowie Jan Schubert (Ärztlicher Leiter des Palliativteams Hanau) und Palliativteam-Geschäftsführer Dr. Gerd Lautenschläger, das Projektteam.. Sie haben die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten – vom Förderverein über das Palliativteam bis hin zu den Einsatzkräften im Rettungsdienst – über Monate vorbereitet und begleiten es bis heute. Die Rückmeldungen der Beteiligten haben sie jüngst zusammengetragen und ausgewertet – mit positiver Zwischenbilanz.

Der große Vorteil der Kooperation: Selbst, wenn Palliativpatienten noch nicht beim Palliativteam fest angebunden sind, gibt es nun geregelte Möglichkeiten einer „Akutübernahme“. Hierdurch können Krankenhauseinweisungen von schwer kranken oder sterbenden Menschen durch den Rettungsdienst vermieden werden, auch an Feiertagen oder Wochenenden. In einigen Fällen haben die Patientinnen und Patienten – trotz hohen Alters oder schwerer Erkrankung – keine Vorsorge getroffen und damit auch noch nicht für sich entschieden, ob sie im Notfall ins Krankenhaus gebracht werden oder zu Hause betreut werden möchten. Immerhin belastet die Menschen eine solche Fahrt und Einweisung sehr: die Transportfahrt, die Aufnahme, der Ortswechsel, die Unsicherheit. Bei knapp hundert Einsätzen innerhalb der ersten zehn Monate konnte der Rettungsdienst die Patienten zu Hause oder in der Pflegeeinrichtung in eine geregelte palliative Betreuung übergeben.

Die palliative Betreuung erfolgt in der Regel unter Einbindung von Angehörigen, Pflegedienst und Hausärzten. Etwa ein bis zwei Mal pro Woche übernimmt zusätzlich akut das Palliativteam Hanau eine palliativmedizinische Weiterversorgung im Pflegeheim oder häuslichen Umfeld. Hierfür stehen sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch Pflegekräfte mit entsprechender Weiterbildung zur Verfügung.

„In den schwersten Momenten eines Lebens braucht es Halt, Orientierung und menschliche Nähe. Gerade wenn es um die Frage geht, ob ein Krankenhausaufenthalt wirklich notwendig oder sinnvoll ist, dürfen Betroffene und ihre Angehörigen nicht allein gelassen werden“, findet Landrat Thorsten Stolz und bedankt sich bei den Medizinerinnen, Medizinern und Ehrenamtlichen, die das Kooperationsprojekt tragen. Die Zwischenbilanz zeige eindrucksvoll, dass das Projekt nicht nur die medizinische und pflegerische Versorgung stärke, sondern auch die seelische Begleitung. Darum werde es auch fortgesetzt. „Das Palliativprojekt im Rettungsdienst setzt ein starkes Zeichen für mehr Menschlichkeit, für Würde und für echte Wahlmöglichkeiten am Lebensende.“

Bildunterschrift: Landrat Thorsten Stolz (Zweiter von rechts) informierte sich im Gespräch mit Jan Schubert (Mitte), Ärztlicher Leiter des Palliativteams Hanau, und Dr. Gerd Lautenschläger (rechts), Geschäftsführer des Palliativteams Hanau, sowie Dr. Wolfgang Lenz (links), Leiter des Amtes für Gesundheit und Gefahrenabwehr, und Manuel Wilhelm, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst, über das erfolgreiche Kooperationsprojekt.

 

Quelle: Redaktion MKK Echo

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