Donnerstag, Oktober 2, 2025
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Pakt für den Ganztag: Chance oder Risiko für Schule und Betreuung?

Mit Beginn des nächsten Schuljahres tritt der gesetzliche Anspruch auf Ganztagsbetreuung an den Grundschulen in Hessen in Kraft. Die GEW in Hanau und im Main-Kinzig-Kreis sieht dieser Entwicklung mit Skepsis entgegen: Nach aktuellem Stand fehlt es an Personal, Räumen und klaren Konzepten, um die Umsetzung vor Ort verantwortungsvoll zu gestalten.
Die Schulen sehen sich auf diese große Aufgabe nicht ausreichend vorbereitet. Überall fehlen Fachkräfte, geeignete Räumlichkeiten und tragfähige pädagogische Konzepte. Anstelle einer vorausschauenden, landesweiten Steuerung durch die hessische Landesregierung müssen die einzelnen Grundschulen unter laufendem Betrieb ihre Strukturen notdürftig auf Ganztagsbetrieb umstellen.
„Die Verantwortung bleibt damit bei Schulleitungen und Kollegien hängen – ähnlich wie schon bei der Umsetzung der Inklusion“, so Ingabritt Bossert, aus dem Fraktionsvorsitz der GEW im Gesamtpersonalrat,“ dort wie hier werden politische Vorgaben gemacht, ohne die notwendigen Ressourcen bereitzustellen. Die Folge: Unsicherheit, Überlastung und das Gefühl, mit der Mammutaufgabe allein gelassen zu werden.“
Bereits jetzt ist die gängige Praxis in Schulen mit Ganztagsangebot, dass in mehreren Schichten gegessen wird, weil die Mensen zu klein sind. Schülerinnen und Schüler essen sogar in angrenzenden Seniorenheimen. Wenn jetzt die Schulen schon am Limit mit Räumlichkeiten, Mensen und Personal sind – wie soll der kommende Anspruch auf Ganztagsbetreuung überhaupt ermöglicht werden?
Ab August 2026 haben Eltern in Deutschland einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder, der bis 2029 schrittweise flächendeckend umgesetzt werden soll. Zwar unterstützt der Bund den Ausbau mit Milliardenbeträgen, doch die Realität ist ernüchternd: Laut dem „Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule 2022“ der Bertelsmann Stiftung fehlen schon heute rund 100.000 pädagogische Fachkräfte. Der Aufbau von mehr als einer Million zusätzlicher Plätze – insbesondere in Westdeutschland – stellt damit eine gewaltige Herausforderung dar. Lediglich in einzelnen Regionen könnten rückläufige Kinderzahlen dazu beitragen, vorhandene Ressourcen etwas besser auszunutzen.
Nach Einschätzung der GEW-Kreisverbände im Main-Kinzig-Kreis erweist sich der „Pakt für den Ganztag“ bislang vor allem als Verschiebebahnhof zwischen Lehrerstellen und finanziellen Mitteln. Die bereitgestellten Gelder reichen nicht aus, um ausreichend qualifiziertes Personal einzustellen. Stattdessen werden häufig nicht tarifgebundene Kräfte eingesetzt – oft ohne passende Qualifikationen. Das gefährdet die Qualität der Betreuung erheblich.
„Der Rechtsanspruch darf nicht auf dem Rücken der Schulen und der Familien umgesetzt werden“, betont Anja Saling, Co-Vorsitzende der GEW Hanau. „Wir brauchen klare Strukturen, tarifgebundenes Personal und eine verlässliche Finanzierung. Ein Flickenteppich von Provisorien hilft weder den Kindern noch den Kollegien.“
Der verstärkte Einsatz von Honorarkräften führt zudem zu prekären Arbeitsbedingungen, hoher Fluktuation und fehlender Kontinuität. Gemeinsam mit dem Mangel an Finanzmitteln, geeigneten Räumen und ausgebildetem Fachpersonal entsteht vielerorts nur ein „Flickenteppich“ an Betreuungslösungen. Damit droht die dringend notwendige Verzahnung von Unterricht und Betreuung verloren zu gehen – der Nachmittagsbereich wird vom schulischen Alltag abgekoppelt.
„Wir erleben vor Ort, dass es an allen Ecken und Enden fehlt: an Fachkräften, an Räumen, an Zeit für Konzepte“, schildert Nicole Schleiff, Grundschullehrerin. „Das führt zu enormem Druck bei den Schulen – und letztlich auch bei den Kindern und ihren Familien.“
Die GEW fordert daher nachhaltige, tarifgebundene und qualitativ hochwertige Rahmenbedingungen für den Ganztag. Fehlende Fachkräfte, unzureichende finanzielle Mittel und schlecht ausgestattete Räume betreffen nicht nur das pädagogische Personal, sondern vor allem die Kinder und Eltern. Schon jetzt sind vielerorts steigende Kosten für Familien zu beobachten.
Der „Pakt für den Ganztag“ kann deshalb allenfalls eine Übergangslösung sein. Er muss schnellstmöglich durch ein tragfähigeres Modell ersetzt werden – mit verlässlicher Finanzierung, qualifiziertem Fachpersonal und bedarfsgerechten Räumen.
Der aktuelle Stand zeigt deutlich: Die Baustelle „Ganztag“ ist weit entfernt vom Richtfest und gleicht eher einem Großprojekt ohne klare Fertigstellungsperspektive.

 

Quelle: Redaktion MKK Echo

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