Die nach ihren eigenen Worten „Neue in der Klasse“ hat geladen, und 280 Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Militär, Justiz, Presse und Gesellschaft sind gekommen: Natasha Rohde hat nach 15 Jahren die Perspektive gewechselt und zum ersten Mal beim Jahresempfang der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern auf der anderen Seite gestanden. An diesem 1. Juli ist Natasha Rohde im Congress Park Hanau Gastgeberin statt Gast und hat sich einem breiten Publikum als neue Präsidentin der IHK vorgestellt. Diese neue Rolle hat sie genutzt, um vor einem breit gestreuten Publikum Forderungen an die Politik zu stellen und betont: „Es knirscht.“
Für Natasha Rohde sind die Jahresempfänge „ein bisschen wie ein Klassentreffen: Jedes Jahr freue ich mich aufs Wiedersehen mit vielen bekannten Gesichtern“. Auch diesmal haben sich viele bekannte und neue Gesichter im Congress Park Hanau trotz heißer Temperaturen eingefunden und die Chance zum Netzwerken genutzt. Für den späteren Austausch hat Gastredner Frank Richter, Präsident am Landgericht Hanau, mit seinem Vortrag über Künstliche Intelligenz (KI) in der Justiz ein weiteres Thema mitgegeben.
Dass bei der teilweise über 100 Jahre alten und auf Papierbearbeitung ausgelegten Prozessordnung auf der einen und modernster KI auf der anderen Seite zwei Welten aufeinanderprallen, hat Frank Richter in seinem unterhaltsamen Vortrag schnell verdeutlicht. Und dennoch ist es dem Juristen gelungen, gemeinsam mit Kollegen beides in einem Tool zu vereinen. Projekt FraUKe (Frankfurter Urteils Konfigurator elektronisch) ist ein Richterassistenztool, dass bei der Urteilsfindung assistiert. Erstellt wurde es für Fluggastrechtsverfahren am Amtsgericht Frankfurt am Main. Dort gehen jedes Jahr rund 15000 Massenklageverfahren im Bereich Fluggasttransferverfahren ein. Das Tool FraUKe hilft bei der Bearbeitung, in dem es Schriftsätze analysiert, Metadaten ausliest und den Richtern beim Urteilsentwurf durch die Verwendung von Textbausteinen zuarbeitet. „Das ist eine Zeitersparnis von 80 bis 90 Prozent“, so Frank Richter.
Der Präsident des Landgerichts Hanau gibt unumwunden zu, dass in der Prozessordnung keine digitalen Abläufe vorgesehen sind: „Die Arbeitsabläufe bei Gericht folgen der traditionellen Papierbearbeitung.“ Damit sind die Prozesse nicht eins zu eins ins Digitale übertragbar. Es gibt aber immer mehr Projekte, die auf die Digitalisierung der Justiz abzielen und diese damit auch voranbringen. Eins sagt Frank Richter in aller Deutlichkeit: „Auch die Richterinnen und Richter wünschen sich eine schnellere Prozessbearbeitung.“
Schnellere und unkomplizierte Bearbeitung ist auch ein Wunsch, den Natasha Rohde im Namen der heimischen Wirtschaft äußert. Nicht nur beim Thema Bürokratieabbau legt die IHK-Präsidentin den Finger in die Wunde: „Kurz gesagt, die Zeichen stehen nicht auf Aufbruch, sondern auf Abwarten. Bestenfalls! Der Standort Deutschland hat an Attraktivität verloren. Das können wir uns nicht schönreden. Und anstatt weiter zuzuschauen, wie Unternehmen Deutschland verlassen, brauchen wir klare Anreize aus der Politik. Wir müssen jetzt nicht nur die Unternehmen halten, die noch da sind, sondern wir müssen diesen Unternehmen die Möglichkeit geben, wieder zu wachsen. Und das geht nur mit massiven Reformen.“ Und dann richtet sich die Prokuristin des mittelständischen Unternehmens Rohde Schutzgasöfen GmbH mit einem Appell direkt an die anwesenden Vertreter aus der Politik: „Hören Sie auf uns Unternehmen, arbeiten Sie mit uns zusammen, damit wir wieder auf den richtigen Kurs kommen.“
Zu den mahnenden und aufrüttelnden Worten gibt es von Natasha Rohde auch Lob, denn sie selbst habe schon in der Zusammenarbeit mit Stadt Hanau und dem Main-Kinzig-Kreis beste Erfahrungen gesammelt. Das sogar „freundlich, lösungsorientiert, meistens sogar ohne viel Papierkram.“ Prinzipiell sieht die 47-Jährige in der heimischen Region beste Voraussetzungen, um die wirtschaftliche Kehrtwende zu schaffen. Auch wenn die neuesten Arbeitslosenzahlen die von ihr aufgezeigte Strukturkrise bestätigen: „Die Industrie – seit Jahrzehnten das Rückgrat der Region, verliert weiter Arbeitsplätze. 2018 hatten wir einen Höchststand von fast 34500 Beschäftigten, am heutigen 1. Juli sind es über 5000 Arbeitsplätze weniger. Und die Tendenz ist weiter fallend. Damit haben wir erstmals seit vielen, vielen Jahren weniger als 30000 Industriearbeitsplätze.“
Nichtsdestotrotz kann die Wirtschaft im Main-Kinzig-Kreis mit Stärken punkten, deren Ausbau nach Natasha Rohde das Ruder herumreißen kann. „Ob Asphalt, Schiene oder Glasfaser: Unsere Region bringt die nötige Infrastruktur mit. Dazu kommen exportstarke Unternehmen in der Materialtechnik, starke Player in der Chemie und Medizintechnik. Die Spannweite reicht von Platin bis Tantal, von Spezialglas bis zu radioaktiven Stoffen, ob Schmuckherstellung, Baggerschaufel, Magnetkerne oder Katalysatoren. All das wird bei uns hergestellt. Darauf können wir aufbauen und genau damit gestalten wir die Zukunft der Region.“
Gemeinsam anpacken lautet also die Devise, die auch in zahlreiche Gespräche beim anschließenden Netzwerken Eingang gefunden hat.
Quelle: Redaktion MKK Echo