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Unglaubliche Geschichten: Grimmelshausen-Preis 2023

Grimmelshausen-Preis 2023 geht an Frank P. Meyer – Förderpreis für Jungautorin Caroline Wahl –  Simone Grünewald und Klaus Puth erhalten Sonderpreis
Die Jury hat ihre Entscheidung getroffen: Der Johann-Jacob-Christoph-von-Grimmelshausen-Preis 2023 geht an Frank P. Meyer für seinen Roman „Vom Ende der Bundeskegelbahn“, den Förderpreis erhält die Autorin Caroline Wahl für „22 Bahnen“. Nach 2009 wird in diesem Jahr auch wieder ein Sonderpreis vergeben. Er geht an Simone Grünewald und Klaus Puth für „Die Abenteuer des Simplicissimus. Grimmelshausen für Jugendliche und Junggebliebene“. Die Preisverleihung findet am Donnerstag, 12. Oktober 2023, um 19 Uhr in der Aula des Grimmelshausen-Gymnasiums Gelnhausen statt.

Der Grimmelshausen-Preis wird alle zwei Jahre vergeben und zwar im Wechsel in Grimmelshausens Geburtsstadt Gelnhausen und in Renchen, wo der größte deutsche Barockdichter als Schultheiß tätig war und verstorben ist. Mit dem Preis werden Autoren ausgezeichnet, die einen bemerkenswerten Beitrag zur künstlerischen Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte geleistet haben und damit in der literarischen Tradition des berühmten Namensgebers stehen. Die Jury ist stets hochkarätig besetzt. Als stimmberechtigte Mitglieder gehören ihr derzeit Dr. Beate Laudenberg von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, der Literaturwissenschaftler Dr. Jürgen Glocker und der aus Gelnhausen stammende Verleger und Publizist Dr. Wolfram Weimer an. Beratende Mitglieder sind Ariane Limberg vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg, Alice Hartmann vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, und die Bürgermeister Daniel Chr. Glöckner (Gelnhausen) und Bernd Siefermann (Renchen).

Hinter dem auf den ersten Blick ein wenig schräg, fast dokumentarisch anmutenden Titel „Vom Ende der Bundeskegelbahn“ verbirgt sich ein humoriger Globalisierungsroman über Freundschaft und Verrat, eine Dorfgemeinschaft und ihre Außenseiter, Klischees und Vorurteile. Autor Frank P. Meyer stellt als Dreh- und Angelpunkt eine in die Jahre gekommene Kegelbahn ins Zentrum seiner aberwitzigen Dorf-Groteske, die im Hunsrück spielt. Dort hat der Chinese Wang Fei großes vor. Er kauft eine leerstehende Fabrikhalle und zwei gebrauchte Lieferwagen und will „Wangs Welthandel“ zu einem blühenden Unternehmen machen. Diese Bemühungen gipfeln schließlich in dem tollkühnen Vorhaben, einen kompletten Weinberg aus dem Ruwertal in die chinesische Provinz Shandong zu versetzen. Seine Mitarbeiter rekrutiert Wang aus den Außenseitern des Dorfes, doch die Provinzler funktionieren leider nicht immer so typisch deutsch wie es sich der Jungunternehmer vorstellt. Auf der anderen Seite geraten auch die Lebensentwürfe der verschworenen Dorfgemeinschaft durch die Konfrontation mit dem Fremden gehörig durcheinander. Dabei bedient der Autor mit einem Augenzwinkern das eine oder andere Klischee: „Ich sag‘ nur: Der Chinese an sich…“  Und einen Toten gibt es auch noch.

Frank P. Meyer, Jahrgang 1962, schreibt Kolumnen, Erzählungen und Romane. Er studierte Anglistik, Germanistik und Niederländische Philologie in Trier und Oxford, danach war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Hildesheim (Promotion im Fach Anglistik). Heute ist er Leiter der Studienberatung an der Uni Trier. 2012 wurde Meyer zum Trierer Stadtschreiber gewählt. 2014 erhielt er den Saar-Hunsrück-Literaturpreis. Zwischen 2014 und 2018 sind seine Romane „Normal passiert da nichts“, „Hammelzauber“ und „Club der Romantiker“ erschienen. „Vom Ende der Bundeskegelbahn“ ist sein aktueller Roman, der 2022 im Conte-Verlag veröffentlicht wurde.

Die Jury begründet ihre Entscheidung für diesen Schelmenroman über die Globalisierung wie folgt: „Ein Chinese will im Hunsrück groß investieren und lernt, dass das Global Village vor allem ein Dorf ist. Das Buch changiert souverän zwischen Kriminalposse und Geschäftsgroteske, zwischen Weltenrausch und Heimatpsychogramm. Frank P. Meyer gelingt mit feinsinnigem Humor eine menschenfreundliche Innenansicht interkultureller Begegnungen. Die Provinz wird zur Chiffre einer unterschätzten Geborgenheit, die das Fremde in der Nähe zu würdigen weiß. Der Roman ist ein literarisch hochwertiges Plädoyer für Toleranz und Freundschaft über alle Grenzen hinweg. Die Kategorie der komödiantischen Ironie und reportagenhaften Verschrobenheit bekommt ein leichtes literarisches Gewand, doch Sprachmacht und Bedeutung dieses Buches wiegen wunderbar schwer.“

Für ihren Debüt-Roman „22 Bahnen“ wird Caroline Wahl mit dem Förderpreis des Grimmelshausen-Preises ausgezeichnet. Im Zentrum der Geschichte steht Tilda, deren Tage durchgetaktet sind: studieren, an der Supermarktkasse sitzen, sich um ihre kleine Schwester Ida kümmern – und um die alkoholkranke Mutter. Ihre Freunde haben der Kleinstadt längst den Rücken gekehrt, nur Tilda ist geblieben. Denn irgendjemand muss für Ida da sein, Geld verdienen, die Verantwortung tragen. Als ihr eine Promotion in Berlin in Aussicht gestellt wird, blitzt eine Zukunft auf, die Freiheit verspricht. Und da ist auch noch Viktor, der genau wie sie im örtlichen Freibad immer 22 Bahnen schwimmt. Doch dann gerät die Situation zu Hause völlig außer Kontrolle.

Caroline Wahl wurde 1995 in Mainz geboren und wuchs in der Nähe von Heidelberg auf. Sie hat Germanistik in Tübingen und Deutsche Literatur in Berlin studiert. Danach arbeitete sie in mehreren Verlagen. Für ihren ersten Roman „22 Bahnen“, der im DuMont Buchverlag erschienen ist, wurde sie bereits mit dem Ulla-Hahn-Autorenpreis 2023 ausgezeichnet. Caroline Wahl lebt in Rostock.

Dr. Wolfram Weimer sagt zur Entscheidung der Jury: „Caroline Wahls Debüt ‚22 Bahnen‘ ist fesselnder Coming-of-Age-Roman und feinsinnige Milieustudie zugleich. ‚22 Bahnen‘ ist eine schmerzlich-zärtliche Geschichte über die Verheerungen des Schicksals und darüber, wie das Glück zuweilen als unerwartete Sommerliebe zu finden ist. Der Autorin ist ein grandios lakonischer Emanzipationsroman gelungen über die Wucht von Verwundungen, über die Geheimnisse der Tröstungen, aber auch darüber, dass Freiheit und Aufbruch in einem selbst liegen. “

Johann Jacob Christoffel von Grimmelshausens der „Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ war 1668 zweifelsohne einer der ersten in deutscher Sprache erschienenen Bestseller. Die wuchtige, verwinkelte und fantasiereiche Moralsatire über die Welt des Dreißigjährigen Krieges, die als wichtigstes deutsches Prosa-Werk des Barock gilt, hat trotz aller sprachlicher Barrieren immer wieder treue Literatur-Freundinnen und -Freunde gefunden, die Grimmelshausens frühneuhochdeutsche Worte Sprachgewalt in ein moderneres Zeitalter transferierten. 2022 ist der Simplicissimus nun dank Simone Grünewald in einer modernen Sprache angekommen. Und nicht nur das: Der Simpel und seine Weggefährten, Widersacher und Weiber haben auch Gestalt angenommen. Illustrator Klaus Puth setzte geeignete Szenen aus Grimmelshausens Werk witzig-ironisch in comic-haften Episoden um und betrat damit selbst zeichnerisches Neuland. Mit Leidenschaft, Sprachgefühl, Fachwissen und Talent, so die Jury, haben Simone Grünewald und Klaus Puth zum 400. Geburtstag Grimmelshausens eine neue Interpretation und Übersetzung des Simplicissimus geschaffen, die die Parabel von einer sich stets verändernden Welt in neuen Leserkreisen ankommen lässt und auch für den Unterricht an Schulen bestens geeignet ist. Dafür werden sie nun mit dem Grimmelshausen-Sonderpreis ausgezeichnet. Er wurde letztmalig 2009 an Reinhard Kaiser für dessen Übersetzung des Simplicissimus in eine modernere Sprache vergeben. Simone Grünewald, die hauptberuflich den Fachbereich Kultur, Tourismus und das Museum der Stadt Gelnhausen leitet, hat in Würzburg und Frankfurt Mediävistik, neuere deutsche Literatur und Geschichte studiert, ihre Magisterarbeit verfasste sie über den Simplicianischen Zyklus Grimmelshausens.

Klaus Puth studierte an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und arbeitet seitdem als Karikaturist und Buchillustrator für Zeitungen und Verlage. Mehr als 200 Bücher sind bisher mit seinen Zeichnungen erschienen. Bundesweit bekannt wurde er mit den „gans verrückten“ Gänsen und den nicht minder schrägen „Yogakühen“.

Der Hauptpreis ist mit 10.000 Euro dotiert. Gemeinsam mit Gelnhausen und Renchen stiften die Bundesländer Hessen und Baden-Württemberg die Auszeichnung. Der Förderpreis wird von den beiden Kommunen in Zusammenarbeit mit den örtlichen Sparkassen – im Fall von Gelnhausen mit der Kulturstiftung der Kreissparkasse Gelnhausen – ausgelobt und ist mit 2.500 Euro dotiert. Der Sonderpreis ist mit 1000 Euro dotiert.

Bildunterschrift:

Haben ihre Entscheidung zum Grimmelshausen-Preis 2023 getroffen (von rechts): Bernd Siefermann, Ariane Limberg, Alice Hartmann, Dr. Beate Laudenberg, Dr. Jürgen Glocker und Daniel Chr. Glöckner. Auf dem Bild fehlt Dr. Wolfram Weimer, der bei den Sitzungen des Gremiums in Gelnhausen per Videokonferenz zugeschaltet wurde. Foto: Stadt Gelnhausen

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