Dienstag, November 26, 2024
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Rechenzentrum – Wieder eine Chance verspielt

Stellungnahme von Wolfgang Seifried (Bündnis 90/Die Grünen) zum Abbruch des Mediationsverfahrens zum geplanten Rechenzentrum durch die Fraktionen von CDU, SPD, FWG, WAS und FDP:

Als Teilnehmer für die Fraktion der Grünen musste ich am 13.07. den Abbruch der Mediation zur Kenntnis nehmen. Vertreter*innen der Bürgerinitiative, der Fraktionen, des Investors sowie die Bürgermeisterin hatten in vier Sitzungen die unterschiedlichen Positionen ausgetauscht. Seit Fassung des Aufstellungsbeschlusses forderte die Fraktion der Grünen entscheidende Verbesserungen bei den Punkten Flächenverbrauch und Abwärmenutzung.  Durch den Abbruch der Gespräche seitens der Mehrheitsfraktionen wurde hier eine weitere Chance für eine gute und von allen getragene Lösung verspielt. Beim Flächenverbrauch wurde seitens der Politik von der Firma Hetzner leider keinerlei Kompromissangebot eingefordert. Bei der Abwärmenutzung wurde versäumt, die spürbare Bewegung in mögliche, verbindliche Vereinbarungen zu überführen.

Unternehmerische und politische Verantwortung nicht wahrgenommen

Die Firma Hetzner ist zweifellos ein solides Unternehmen mit guten Ansätzen, z.B. mit einer langen Nutzungsdauer der eingesetzten Hardware, mit der Nutzung erneuerbarer Energien, mit dem Ausschluss des stromfressenden Crypto-Minings in ihren Rechenzentren oder mit einer guten Bezahlung ihrer Belegschaft. Letzteres sowie die der Gemeinde in Aussicht gestellten Gewerbesteuerzahlungen (ca. 3 Mio. € pro Jahr!) sind ein Indiz für die erfreulich hohe Profitabilität des Unternehmens, die aber leider massiv zu Lasten der Umwelt geht. Aus der rein wirtschaftlichen Perspektive des Unternehmens ist nachvollziehbar, dass alles getan wird, was sich rentiert und was von der Politik zugelassen wird. Doch Unternehmen haben auch eine gesellschaftliche Verantwortung, der die Firma Hetzner an dieser Stelle eigeninitiativ leider nicht gerecht wird. Deshalb wäre es Aufgabe der Politik, die notwendigen Verbesserungen am Konzept verbindlich einzufordern. Die Firma Hetzner würde dadurch nicht überfordert und mangels alternativer Standorte wäre das Risiko, dass das Unternehmen abspringt, gering. Und wenn doch: Dann würden eben andere Gewerbebetriebe zum Zug kommen. Doch die Mehrheitsfraktionen unterschätzen meines Erachtens die Attraktivität des Standorts in der Nähe des Frankfurter Internetknotens DE-CIX für einen Rechenzentrumsbetrieb und damit die eigene Verhandlungsposition. Durch diese Fehleinschätzung und die frühzeitige, ohne Prüfung von Alternativen oder Einholung von unabhängiger RZ-Expertise erfolgte Festlegung auf die Firma Hetzner tragen sie die Mitverantwortung an einem Raubbau an der Natur, trotz Klimakrise und dem uns allen präsenten Wassermangel. In der Mediation hätte dies korrigiert werden können.

Unnötig hoher Flächenverbrauch wird hingenommen

Schon zu Beginn des formalen Verfahrens, mit Aufstellungsbeschluss im Mai 2021, war bekannt, dass die Fa. Hetzner auch in Schöneck ihre eingeschossigen Standard-Module einsetzen möchte, was zu dem immensen Flächenbedarf von ca. 13 Hektar führt, mit all den negativen Auswirkungen auf Artenschutz, Landwirtschaft und die Wasserversorgung Schönecks. Seitens der Grünen hatten wir deshalb damals erfolglos eine zweigeschossige Bauweise gefordert. Nach intensiverer Beschäftigung mit der Thematik, der Besichtigung eines Hetzner-RZs in Falkenstein, dem Besuch eines RZ-Kongresses und weiterer Recherchen und Diskussionen mit einem unabhängigen RZ-Experten sah ich weitere mögliche Optionen zur signifikanten Flächeneinsparung. Im Verlauf der Mediation brachte ich diese mit einer Powerpoint-Präsentation in die Diskussion ein, bewusst Angriffsfläche bietend, da ich trotz intensiver Beschäftigung mit der Thematik weit davon entfernt bin, ein RZ-Experte zu sein. Ich wollte damit einen Ideen-Prozess anstoßen. In einer Gegendarstellung dazu hat die Fa. Hetzner gegen alle vier Optionen zum Teil nachvollziehbar, aber für mich nicht wirklich überzeugend argumentiert. Gegen den zweigeschossigen Bau wurde beispielsweise eine verschlechterte Energiebilanz ins Feld geführt, ohne dies mit Zahlen zu untermauern.

Im gesamten Verfahren: Keine von der Fa. Hetzner unabhängige RZ-Expertise gehört

Auch dem Wunsch, dies durch unabhängige RZ-Expert*innen zu prüfen, um eine informierte Abwägung von Vor- und Nachteilen zu ermöglichen, wurde nicht entsprochen. Dieser Fehler zieht sich seit Beginn konsequent durch das gesamte Verfahren. Weder in der Verwaltung noch in Ausschusssitzungen und nun auch in der Mediation wurden unabhängige RZ-Expert*innen hinzugezogen. Die einzige bislang gehörte RZ-Expertise war die der Fa. Hetzner, was eine objektive Bewertung und Entscheidung des Sachverhalts unmöglich macht.

Auch Vorschläge seitens des Bündnisses lebenswertes Schöneck, zum Teil auf versiegelte Flächen auszuweichen, wurden negativ beschieden. Allen Beteiligten – auch mir – ist bewusst, dass kein Vorschlag einfach umzusetzen wäre und dass ggf. die eine oder andere Idee sich als „Blödsinn“ erweisen kann. Aber alle Vorschläge in den Wind zu schlagen und keine eigenen Vorschläge zu machen, wissend, dass dies für die „Gegenseite“ in der Mediation einer der beiden Schlüsselaspekte ist, empfinde ich zumindest als „unbeweglich“. Denn ein Naturgesetz ist die Flächenversiegelung gewiss nicht und insofern durch menschliches Handeln und Verhandeln reduzierbar.

Der einzige kleine Hoffnungsschimmer „Abwärmenutzung“ bleibt leider unverbindlich

Viermal (!) hatte die Gemeindepolitik Anträge der Grünen zur Nutzung der Abwärme abgelehnt. Im Oktober 2022 kam dann plötzlich durch einen gemeinsamen Dringlichkeitsantrag von CDU, SPD, FWG und WAS doch noch Bewegung in die Sache. Mittlerweile sind mit dem Versorgungsunternehmen eam und der Technischen Hochschule Mittelhessen kompetente Akteure im Boot, um die Machbarkeit auszuloten. Mit den anderen Fraktionen bin ich zuversichtlich, DASS daraus etwas werden kann. Nach meiner Einschätzung wird aber die durch das geplante RZ abgebbare Wärmemenge die benötigte Wärmemenge in Schöneck und Umgebung bei weitem übersteigen, d.h. dass nach wie vor vermutlich ein erheblicher Teil der wertvollen Abwärme ungenutzt „entsorgt“ würde.

Jetzt könnte man einwenden, dass das ja egal sei, Hauptsache Schöneck wird versorgt. Als verantwortlicher Politiker, auch als Kommunalpolitiker, schaue ich aber über den Tellerrand hinaus, und dann ist es eben nicht egal. Auch andere Fraktionsvertreter*innen schienen interessiert, zu erfahren, wie hoch denn die Quote nutzbarer Wärme sein würde (machten aber andererseits im Widerspruch dazu deutlich, dass diese für sie nicht entscheidungsrelevant sei).

Warum das sein muss: Wir wissen, dass wir im Kampf gegen die Erderhitzung alle in Deutschland verfügbaren erneuerbaren Energiequellen (v.a. Wind und Sonne) nutzen müssen, um mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe (Gas, Kohle, Öl, Benzin und Diesel) aufhören zu können. Bei der Stromerzeugung nutzen wir derzeit erst etwa 50 Prozent erneuerbare Energie. Bei der Wärmeerzeugung (siehe Diskussionen um das Gebäudeenergiegesetz) und der Mobilität (siehe Diskussionen um Elektromobilität) stecken wir noch in den Kinderschuhen. Wir haben durch die verschleppte Energiewende der letzten Jahre enormen Aufholbedarf.

Können wir es da zulassen, dass auf unserer Gemarkung Energie in die Luft geblasen wird? Wenn wir z.B. nur 10 Prozent (um eine Hausnummer zu nennen) der im RZ erzeugten Wärme nutzen würden, hieße das im Umkehrschluss, dass wir weiterhin 90 Prozent ungenutzt „entsorgen“ würden.

Da hilft es nichts, dass der Strom, im RZ genutzt wird – wie von Hetzner versprochen – erneuerbar sein soll. Denn noch ist erneuerbarer Strom Mangelware und fehlt an anderer Stelle, um fossilen Strom zu ersetzen. Oder aus anderer Perspektive: Wir lassen es zu, dass Abwärme in großer Menge verplempert wird, während die Gebäude, die nicht an die Abwärme eines RZs angeschlossen werden können, weiterhin fossil heizen oder z.B. durch Wärmepumpen einen zusätzlichen, erneuerbaren Strombedarf haben, was wiederum die Ablösung von Kohle- und Gasstrom verzögert.

Wärmeerzeugung und Wärmenachfrage ins Gleichgewicht bringen zur Beschleunigung des Ausstiegs aus fossilen Energien

Ein Instrument dazu liegt auf der Hand: Die kommunalen Wärmeplanung, die derzeit in aller Munde ist. So lange ein RZ noch nicht gebaut ist, kann durch eine solche Planung auch die Größe des RZs so dimensioniert werden, dass die Wärme möglichst vollständig in der Umgebung genutzt werden kann. Auch mir ist klar, dass eine solche Planung in der Kürze der Zeit schwierig ist. Auch möchte die Fa. Hetzner möglichst frühzeitig mit dem Vorhaben beginnen, und ich will das nicht verzögern.

Es braucht kreative, organisatorische Lösungen: Jetzt!

Ich erwarte aber organisatorische Lösungen, welche die Fa. Hetzner von Beginn an mit ins Boot holen und motivieren, möglichst viel der erzeugten Wärme auch abzusetzen. Z.B. Gründung eines Joint Ventures von eam und der Fa. Hetzner in Form einer Wärmevertriebsgesellschaft Schöneck – oder auch einer Genossenschaft unter Beteiligung der Bürger*innen. Auch könnte eine (gerne geringe) Abgabe vereinbart werden, die Hetzner für jede nicht genutzte Megawattstunde Wärme an die Gemeinde zu leisten hätte, als wirtschaftliche Motivation, möglichst viel Wärme zu vertreiben und möglichst wenig zu verschwenden. Hetzner sollte andererseits die Wärme auch verkaufen und damit Geld verdienen können, schließlich ist die Wärme ein wertvolles Produkt und kein Abfall, der zu entsorgen ist. Die relevanten Akteure würden dann an einem Strang ziehen, das Gesamtsystem würde sich wie von Geisterhand durch monetäre Anreize selbst optimieren.

Solche oder ähnliche Lösungen hätten im Rahmen der Mediation von den Akteuren ersonnen werden können, um die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass zur Klimaneutralität beigetragen wird.

Konkrete Vereinbarungen statt Prinzip Hoffnung

Es klingt nach Utopie, solche komplizierten Lösungen von Unternehmen und der Politik einzufordern. Ich halte es jedoch für fahrlässig, die auf dem Präsentierteller liegende Chance nicht konsequent zu nutzen. Und ja, es ist mein Anspruch, auch an die Kommunalpolitik, über die eigene Gemeinde hinauszuschauen. Denn auf das Prinzip Hoffnung darf die Kommunalpolitik nicht bauen, gerade bei einem Projekt mit einem so hohen ökologischen Fußabdruck.

Ich kritisiere meine Kolleginnen und Kollegen in der Kommunalpolitik, die aus meiner Sicht dieses Projekt nicht gesamthaft betrachten, sich zu frühzeitig auf genau die vorgelegte Planung festgelegt haben, sich ohne die Hinzuziehung unabhängiger RZ-Expertise den einseitigen Darstellungen der Firma Hetzner ausgeliefert haben, die eigene Verhandlungsposition unterschätzen, deshalb keine Forderungen für eine nachhaltige Gestaltung an die Firma Hetzner erheben und so eine mögliche gute Lösung verpassen. Die Firma Hetzner kritisiere ich dafür, dass sie die ihr so überlassene Machtposition ausnutzt.

Alle „offiziellen“ Informationen und Protokolle zum Mediationsverfahren sind auf der Homepage des Mediators veröffentlicht: https://adribo.de/project/mediation-rechenzentrum-schoeneck-kilianstaedten/

Quelle: Wolfgang Seifried

 

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