„Main-Kinzig-Erklärung für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik“: Landkreis und Kommunen wenden sich mit 13 Forderungen an Berlin und Wiesbaden
Main-Kinzig-Kreis. – Der Main-Kinzig-Kreis sowie 27 Städte und Gemeinden des Kreises haben einen Appell an die Bundesregierung sowie die hessische Landesregierung gerichtet, um auf ihre Situation bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten aufmerksam zu machen. Ihre Forderungen haben sie in einem 13-Punkte-Papier zusammengefasst. Darin fordern die Kreisspitze sowie die Rathäuser parteiübergreifend Entlastung.
„Wir befinden uns in einem Dauerkraftakt, den wir im Main-Kinzig-Kreis gemeinsam mit den Städten und Gemeinden meistern. Wir richten uns in personeller, organisatorischer, logistischer und finanzieller Hinsicht auf diesen Kraftakt ein, aber wir brauchen an der Basis Unterstützung und vor allem verlässliche Perspektiven, für die in Wiesbaden, Berlin und Brüssel gesorgt werden müssen“, fasst Landrat Thorsten Stolz den Hintergrund der „Main-Kinzig-Erklärung für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik“ zusammen.
Adressaten der Erklärung sind gleichermaßen die Bundesregierung wie die Landesregierung. Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser haben das Schreiben ebenso erhalten wie Ministerpräsident Boris Rhein und Staatsminister Beuth, insbesondere vor dem Hintergrund des geplanten Treffens des Kanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder am 10. Mai.
Stefan Erb, Sprecher der Bürgermeisterkreisversammlung, setzt große Hoffnungen auf den 10. Mai, „aber die Hilfe brauchen wir an der Basis so früh wie möglich“: „Viele der 13 Punkte ließen sich im Mai in einem einheitlichen Maßnahmenpaket bündeln. Aber weder die Bundesregierung noch das Land Hessen müssen auf diesen Termin warten. Die Herausforderung ist nicht neu, unsere Forderungen sind es auch nicht.“
Die Kreisspitze sowie die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister schlagen insgesamt 13 Maßnahmen vor. Neben einer engeren Abstimmung und Angleichung der Flüchtlingspolitik auf Ebene der Europäischen Union geht es auf nationaler Ebene um eine eigene operative Verantwortung des Bundes bei der Aufnahme der nach Deutschland flüchtenden Menschen. Wer ohne Bleibeperspektive ist, soll schneller ins Herkunftsland zurückgebracht werden, was eine gemeinsame Initiative von Berlin und Wiesbaden erforderlich macht. In die Bundesländer und vor allem in die Kreise und Kommunen sollen nur die Geflüchteten weiterverteilt werden, für die eine Bleibeperspektive festgestellt wurde. Für eine bessere Integration fordern der Landkreis und die Kommunen Erleichterungen bei der beruflichen Integration sowie eine Kostenerstattung, nicht nur mit Blick auf die Unterbringung und Versorgung sondern auch für die folgenden Integrationsmaßnahmen.
„Für viele Familien ist der Main-Kinzig-Kreis Heimat geworden, zumindest für eine sehr lange Zeit. Es ist daher unsere langfristige Aufgabe und Verantwortung, die Menschen zu integrieren. Das braucht Raum, den wir schaffen müssen, aber das können der Kreis und die Kommunen nicht alleine“, erklärt Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler. Die Schaffung von Wohnraum, Kitas und Schulplätzen soll daher durch eine Anpassung bei den Standards und einem finanziellen Ausgleich befördert werden. Nachdem Anschreiben an das Land Hessen seitens des Kreises und der Kommunen seit Monaten unbeantwortet bleiben, fordern die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Main-Kinzig-Erklärung zudem einen hessischen Flüchtlingsgipfel.
„Wir verbinden diese Erklärung mit der Erwartungshaltung, dass diese realistischen Einschätzungen und Handlungsvorschläge der kommunalen Ebene zur aktuellen Lage der Flüchtlingssituation in die Beschlüsse dieser Zusammenkunft einfließen werden“, heißt es im Anschreiben. „Um auch künftig eine verantwortliche Aufnahme und Integration von Flüchtlingen in den Kommunen vor Ort leisten zu können und um populistischen Kräften entgegenzuwirken, bedarf es neben einer besseren finanziellen Ausstattung zahlreicher weiterer Optimierungen sowie eine grundlegende Weiterentwicklung der nationalen, aber auch europäischen Flüchtlingspolitik.“
Für Maintals Bürgermeisterin Monika Böttcher ist die gemeinsame Lösungssuche unter Beteiligung aller politischen Ebenen „die drängendste Aufgabe dieser Tage“: „Wir Kommunen stellen uns der humanitären Aufgabe, die Geflüchteten bei uns aufzunehmen. Doch der Immobilienmarkt ist in der Rhein-Main-Region ohnehin angespannt. Die Baupreise erschweren es, dass sich diese Situation durch mehr Angebot, sprich: durch neu errichteten Wohnraum, entspannt. Alles, was die Städte und Gemeinden jetzt selbst schaffen, das schaffen sie zu hohen, aber notwendigen Kosten. Wichtig ist, dass sie diese am Ende nicht alleine tragen müssen.“
Bad Soden-Salmünsters Bürgermeister Dominik Brasch bekräftigt: „Es gibt nicht den einen Hebel alleine, mit dem wir die Situation völlig entspannen. Der Ball liegt gleichermaßen in Berlin wie in Wiesbaden. Was wir als Kommunen vor Ort zu tun haben, das wissen wir und das tun wir seit Monaten. Wir schaffen Notunterkünfte, Gemeinschaftseinrichtungen und behelfsmäßigen Wohnraum. Damit gewinnen wir etwas Zeit, um dauerhafte Bauten fertigzustellen. Am wichtigsten ist bei alledem aber, die Menschen immer mitnehmen zu können und auch begründen zu können, was wir tun und wie sich die Situation darstellt.“
Im Main-Kinzig-Kreis sind vergangenes Jahr rund 9.200 Geflüchtete und Asylsuchende registriert, untergebracht und versorgt worden. Im Jahr 2023 sind es bisher rund 1.100, wobei die Dynamik des Fluchtgeschehens über den Sommer hinweg zunimmt.
„Wir erwarten, dass zwischen Bund und Ländern am 10. Mai ein Maßnahmenbündel geschnürt wird und sich unsere 13 Punkte darin wiederfinden. Wenn ich mir Initiativen dieser Art aus anderen Teilen des Landes anschaue, dann sind das realistische und von breiter Basis getragene Forderungen. Wir brauchen diese verlässliche Perspektiven ganz einfach“, so Landrat Thorsten Stolz. „Der Main-Kinzig-Kreis steht stellvertretend für die kommunale Familie, die die Unterbringung, Versorgung und Betreuung von Geflüchteten und Asylsuchenden stemmt. Und da ist es das Mindeste, dass diese kommunale Familie nicht wie Bittsteller behandelt wird, sondern durch Bund und Land den Rücken gestärkt bekommt.“
Quelle: Frank Walzer