Mit einer beeindruckenden Bilanz von 27:3 Punkten beendet der TV Gelnhausen die Hinrunde in der 3. Handball-Liga Süd-West auf einem sensationellen zweiten Tabellenplatz. Die Erwartungen wurden weit übertroffen und der Verein begeistert Fans und Experten gleichermaßen. Hauptverantwortlich für den aktuellen Höhenflug sind Cheftrainer Matthias Geiger und Headcoach Sergej Budanow.
Die beiden haben mit Kontinuität, Mut und Vertrauen in den letzten Jahren ein junges Team voller Eigengewächse und punktueller Verstärkungen geformt, das begeisternden Tempo-Handball spielt und die Herzen der Fans im Sturm erobert hat. Mit leidenschaftlichen Auftritten hat der TVG längst eine kleine Handball-Euphorie in der Region entfacht. Und die Mannschaft hat mit einem Altersdurchschnitt von nicht einmal 23 Jahren noch längst nicht ihren Zenit erreicht.
Um den aktuellen Erfolg richtig einzuordnen, hilft ein kurzer Blick zurück. Ende 2017 fällte man beim TVG eine Grundsatzentscheidung. „Wir hatten damals die Vision konsequent auf die Jugend zu setzen, um jungen Talenten aus der Region eine sportliche Perspektive zu bieten – mit eigenem Trainer, Manager und einem stabilen Umfeld. Dafür haben wir ein Konzept entwickelt und einen Umbruch eingeleitet“, sagt Budanow.
Mit über 100 Länderspielen für die Ukraine und später als Trainer der ukrainischen Junioren-Nationalmannschaft, der mehrere Olympiasieger formte, bringt Budanow jede Menge Erfahrung ein. Der 65-Jährige war bis zum Alter von 42 als Profi u.a. auch in der Bundesliga für Stuttgart und Göppingen aktiv. Anschließend wechselte der A-Lizenz-Inhaber auf die Trainerbank. Beim TV Gelnhausen ist er für die Weiterentwicklung der Trainer bis hinunter zur C-Jugend verantwortlich und dient als wichtiger Feedbackgeber, insbesondere auch für Geiger. „Sergej ist mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung eine unverzichtbare Unterstützung – nicht nur für mich, sondern für den ganzen Verein. Von seinem Wissen profitieren wir alle“, sagt Geiger.
Der aktuelle Coach ist Gelnhäuser durch und durch, warf sich jahrelang als Rückraumspieler in jeden Zweikampf und ist seit 2009 als Trainer beim TVG aktiv. Zunächst als Jugendtrainer, ab 2018 dann als allein verantwortlicher Coach des Drittligateams. Gemeinsam mit Budanow hat er über Jahre hinweg die aktuelle Mannschaft geformt. „Matthias ist ein herausragender Trainer, der die Mannschaft behutsam weiterentwickelt und in schwierigen Situationen den Überblick und vor allem die Ruhe behält“, sagt Budanow.
Dieser Umbruch sei nicht immer einfach gewesen, doch die harte Arbeit trage nun Früchte“, fährt Budanow fort und weiß dabei die Rückendeckung von Manager Philip Deinet sehr zu schätzen. Deinet durfte sich in den vergangenen Jahren viel Kritik anhören, wenn die Ergebnisse nicht stimmten. Zusammen mit dem Geschäftsführer-Duo Corinna Müller, Martin Heuser und jeder Menge engagierter Mitglieder sorgt er für ein stabiles Umfeld, indem sich Talente entwickeln können.
„Matthias und Sergej hatten und haben den Mut, jungen Spielern auch in schwierigen Momenten Einsatzzeiten zu geben, damit sie daran wachsen können, obwohl vielleicht eine andere Entscheidung im Sinne des kurzfristigen Erfolges naheliegender gewesen wäre. So etwas macht einen schnell angreifbar. Dennoch haben die beiden im Sinne des Vereins und vor allem im Sinne unserer Talente immer wieder solche unpopulären Entscheidungen in Kauf genommen. Nur so konnten unsere Jungs Erfahrungen sammeln, von denen sie jetzt profitieren“, sagt Deinet.
Diese Einstellung zur kompromisslosen Jugendförderung, die zunächst nur auf den eigenen Nachwuchs abgezielt hatte, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Und so ergeben sich plötzlich neue Möglichkeiten. Während der Saison schlossen sich mit Daniel Drozdz und Akos Csaba ein polnischer und ein ungarischer U-Nationalspieler dem TV Gelnhausen an, in der Gewissheit, hier optimal gefördert zu werden.
Solche Neuzugänge können aber nur dann gut integriert werden, wenn der Rahmen stimmt. „Ein wesentlicher Faktor ist die Entwicklung eines stabilen Mannschaftskerns. Über die Jahre hat sich ein Team geformt, das einander vertraut und zusammengewachsen ist. Dieses Vertrauen – sowohl zwischen Spielern als auch zwischen Spielern und Trainern – ist ein Schlüssel zum Erfolg“, sagt Geiger.
Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat die Mannschaft zudem mental gestärkt. Besonders die letzte Saison, die von Rückschlägen und Herausforderungen geprägt war, half dem Team zu reifen. „Die Jungs haben aus engen und bitteren Spielen gelernt. Jetzt sind sie in entscheidenden Momenten viel souveräner“, erklärt Geiger. Überhaupt spielt Charakterschulung eine wichtige Rolle beim TVG. „Unsere Spieler sind lernfähig, fleißig und hochmotiviert. Diese Eigenschaften sind entscheidend für den Erfolg“, sagt Budanow. „Wir wollen ein Magnet für ehrgeizige Menschen sein.“
Der plötzliche Tod von Mitspieler und Publikumsliebling Tim Altscher im Februar 2024, der riesige Schmerz und die Trauer über den Verlust eines Freundes hat das Team kurzfristig komplett aus der Bahn geworfen, aber mittelfristig noch einmal auf eine ganz besondere Art zusammengeschweißt und auch innerhalb des Vereins und im Umfeld für ein neues „Wir-Gefühl“ gesorgt, das einzigartig ist. „Tim ist in unseren Herzen stets dabei und wird immer ein bedeutender Teil dieses Teams bleiben. Die gemeinsame Trauerbewältigung hat uns allen ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl gegeben, dass nur schwer in Worte zu fassen ist“, sagt Mannschaftskapitän Jonathan Malolepszy.
Der äußere Rahmen stimmt also. Wenn das Team dann noch vom Verletzungspech weitestgehend verschont bleibt, vermeintlich stärkere Teams wie Saarlouis, Leutershausen, Nieder-Roden oder Hanau schwächeln und ein Quäntchen Spielglück hinzukommt, dann ist so ein außergewöhnlicher Lauf möglich. Schließlich hätte auch alles anders kommen können. Mit Leutershausen, Saarlouis und Kirchzell warteten zum Saisonstart gleich drei Brocken auf den TVG. „Es war ein Hammerauftakt. Doch die Siege gegen diese Gegner haben der Mannschaft gezeigt, dass unsere Spielweise funktioniert, wenn wir sie konsequent umsetzen“, sagt Geiger und Budanow ergänzt: „Das waren Spiele, die uns nicht nur Punkte eingebracht haben, sondern auch Selbstvertrauen und den Glauben an die eigene Stärke gefestigt haben.“
Ein besonderer Moment war jedoch die Reaktion der Fans nach der einzigen Saisonniederlage gegen den Longericher SC Köln, die mit 25:40 maximal deftig ausfiel. „Trotz des Ergebnisses haben die Zuschauer die Mannschaft gefeiert und unterstützt. Das war unglaublich emotional und hat uns gezeigt, wie eng die Bindung zwischen Team und Fans ist“, sagt Geiger. Dieser Zuspruch von den Rängen motiviert uns Spieler, immer wieder, an unsere Grenzen zu gehen“, sagt auch Rückraumspieler Silas Altwein.
Ohnehin ist die Unterstützung der Fans ein unverzichtbarer Bestandteil des Erfolgs. „Unsere Zuschauer sind außergewöhnlich. Sie feiern nicht nur Tore, sondern auch Einsatz und Kampfgeist“, sagt Budanow. Geiger hebt hervor, wie sehr die Mannschaft von der Stimmung in der Halle profitiert: „Wenn die Spieler wissen, dass die Halle voll wird, ist das ein wahnsinniger Motivationsschub. Beim Spiel in Hanau waren unsere Anhänger sogar so laut, dass sie die Heimfans übertönt haben. Solche Erlebnisse sind für uns und die Spieler unglaublich wertvoll.“ Der Zuschauerschnitt von über 900 kann sich sehen lassen und zeugt von der Handballbegeisterung in Gelnhausen.
Doch nur mit Zusammenhalt und Selbstvertrauen kommt man in der 3. Liga nicht weit. Auch spielerisch und taktisch sollte man etwas zu bieten haben. Hier muss man vor allem die Stabilität in der Defensive hervorheben. Mit nur 403 Gegentreffern stellt der TVG derzeit staffelübergreifend die viertbeste Abwehr aller 64 Drittligisten. „Unser Abwehrkonzept haben die Spieler über Jahre verinnerlicht. Jeder ist ehrgeizig und möchte sich in jeder Situation verbessern“, erklärt Geiger. „Das Zusammenspiel mit den Torhütern funktioniert hervorragend und auch unser Tempospiel ist mittlerweile auf Topniveau.“
Allerdings sieht das Trainerteam auch Verbesserungsbedarf. „Unser Positionsangriff hat sich schon deutlich entwickelt, aber es gibt noch Potenzial. Wir müssen weniger Fehler machen und unsere Chancen noch besser herausspielen“, gibt Geiger zu. Budanow ergänzt: „Die Stabilität-Kontinuität im Spiel ist unser Saisonziel. Das hat in der Hinrunde schon ganz gut geklappt, aber es gibt noch eine ganze Menge zu tun.“
Mit Blick auf die Rückrunde sind sich beide Trainer einig: Die ersten Spiele werden entscheidend sein. „Die drei kommenden Partien sind echte Härtetests. Danach wissen wir, wo die Reise hingeht“, sagt Budanow. Geiger betont, dass der Fokus weiterhin auf der kontinuierlichen Verbesserung liegt: „Die Saison ist noch lang, und Rückschläge werden kommen. Wir wollen uns auf jedes Spiel konzentrieren und die Leistung abrufen, die uns bisher ausgezeichnet hat.“ Denn bei einer Sache sind sie sich alle einig beim TVG: Erfolg ist ein flüchtiges Glück. „Es muss schon verdammt viel zusammenpassen, dass man eine solche Hinrunde spielt“, gibt sich Deinet keinerlei Illusionen hin. „Es werden auch wieder andere Zeiten kommen und wir müssen uns alle aufs Neue beweisen. Aber dann wird uns die kollektive Erfahrung aus den vergangenen Jahren helfen.“
Quelle: Redaktion MKK Echo