Mittwoch, Juni 4, 2025
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Ist das Gute wirklich gut und das Böse wirklich böse?

Brüder Grimm Festspiele Hanau zeigen „Hänsel und Gretel“ als Familienstück mit Musik / barrierefrei für Menschen mit Hörbeeinträchtigung
Der Intendant der Brüder Grimm Festspiele Hanau, Frank-Lorenz Engel, hatte am Samstagabend gleich mehrere gute Gründe, sich zu freuen: die Welt-Uraufführung des Märchens „Hänsel und Gretel“, ein ausverkauftes Haus zu dieser dritten Premiere der Saison und das freundliche Umschwenken eines als „extrem“ bezeichneten Regengebietes, das sein Erscheinen eigentlich pünktlich zum Vorstellungsbeginn angekündigt hatte.

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Es blieb trocken, die Premiere von Wetterlaunen unbehelligt. Und Engel konnte zudem noch eine gute Nachricht verkünden: Für Menschen mit Beeinträchtigungen beim Hören gebe es nun eine Anlage, mit der man sich den Bühnenton direkt auf das Hörgerät geben lassen oder klassisch mit Hilfe von Kopfhörern erleben könne. „Es ist uns wichtig, dass wir Theater für alle machen, dass Inklusion nicht nur ein Schlagwort ist. Wir leben das“, betonte der Chef der Festspiele in seiner Begrüßung. Mit der Höranlage, die gemeinsam mit dem Förderverein sowie mit Unterstützung der „Aktion Mensch“ realisiert wurde, gehe man einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Barrierefreiheit. Bereits am Start sind Vorstellungen mit Gebärdendolmetschern sowie Hilfen für Sehbehinderte. Übrigens freute sich Frank-Lorenz Engel am Ende der Vorstellung gleich nochmal: Für die Inszenierung von „Hänsel und Gretel“ gab es minutenlangen frenetischen Applaus des Publikums, das es nach dem Schlusston nicht auf seinen Sitzen hielt.

„Hänsel und Gretel“ in der Inszenierung von Jan Radermacher, der gemeinsam mit Timo Riegelsberger auch für Buch und Komposition verantwortlich ist, geht es vor allem darum, Dinge zu hinterfragen. Was ist wirklich gut, was ist wirklich böse? Was ist richtig, was falsch? Ist die Stiefmutter eine Hexe oder nicht? Radermacher zeigt, dass nichts im Leben nur schwarz oder weiß ist und dass nichts „einfach so“ geschieht, sondern dass Entscheidungen Konsequenzen nach sich ziehen. Damit gibt er dem traditionellen Märchen um die beiden Kinder, die von ihren Eltern im tiefen Wald ausgesetzt werden, sich verirren und einer bösen Hexe in die Fänge geraten, eine neue Denkrichtung. Trotzdem haben auch die Bausteine, die jeder mit „Hänsel und Gretel“ verbindet, ihren festen Platz in der Hanauer Fassung – diese beginnt denn auch mit dem bekannten „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind“, mit Nebel, der durch den angedeuteten Wald wabert (Bühnenbild: Tilmann von Blomberg) und mit einer Hochzeit. Der Vater von Hänsel und Gretel (Patrick Dollmann) heiratet, wenige Wochen nach dem Tod seiner ersten Frau, deren Freundin Dora (Valerija Laubach), sehr zum Missfallen seiner Kinder. Vor allem Gretel (Rosa Abruscato) macht aus ihrer Verachtung keinen Hehl. Für ihr erstes Lied „Die Sache mit den Hexen ist wirklich schnell erklärt“ erntete die „Sterntaler“-Darstellerin des vergangenen Jahres Szenenapplaus und Jubelrufe des Publikums. Sie ist überzeugt davon, dass ihre Stiefmutter eine Hexe ist und ihre leibliche Mutter auf dem Gewissen hat. Im Gegensatz zu dem Powerpaket Gretel ist deren Bruder Hänsel (Moritz Reinisch) eher verträumt, bereit, die Dinge so zu akzeptieren wie sie sind. Als eine Unachtsamkeit von ihm katastrophale Folgen für das gesamte Dorf hat und die Familie schlagartig vor dem Nichts steht, überredet Dora ihren frisch Angetrauten, die Kinder im Wald auszusetzen. Hänsel, der in seiner Tasche immer Kieselsteine hat, mit denen er den Weg markiert (zweifache Bedeutung: „… damit Du Dich erinnerst, wo Du herkommst“), muss auf Brotkrumen zurückgreifen. Klar, dass diese von Vögeln und Waldtieren weggefuttert werden. Während Gretel sich weiter auf die Suche nach dem Heimweg macht, beobachtet ihr Bruder eine Szene wie aus einem Traum: Drei Frauen, in weiße Umhänge gekleidet, symbolisch für eine andere Welt, die Vergangenheit, den Wind, erscheinen im Wald. Es sind Elisabeth, die verstorbene Mutter der Kinder (Katja Straub), Dora und ihre gemeinsame Freundin Agnes (Judith Jakob) – was aber stellen sie dar? Sind sie alle Hexen oder nur in der Tradition gefangene Bewohnerinnen des Dorfes, die einen Ausweg suchen? Dies bleibt bis zum Ende des Stückes ein Mysterium, steht aber symbolisch für die Frage ob etwas „nur“ gut oder „nur“ böse und ob wirklich alles das ist, was es auf den ersten Blick zu sein scheint. Auch die Rolle der Taube, die Hänsel stets folgt, bleibt zunächst rätselhaft.

Zurück in den tiefen Wald: Hier hat jetzt ein weiteres klassisches Element des Ur-Märchens seinen großen Auftritt auf der Showbühne – das essbare Hexenhaus. Zum Entzücken des Publikums erscheint es in Form tanzender Lebkuchen, die sich zu einem Haus zusammenstellen. Das Lied „Knusper Knusper Knäuschen“, das das Entrée der Hexe (Judith Jakob) begleitet, erweist sich als rasanter Mix unterschiedlicher Musikrichtungen von Rock bis Samba (Musikalische Leitung: Malte Bechtold, Choreografie: David Hartland) und riss die Premierenzuschauer direkt mit. Apropos „Hexe“: Sie trägt als Kopfschmuck eine Miniaturausgabe des Lebkuchenhäuschens, dazu ein giftgrünes Kleid mit bauschigem Tüllrock. Tüll findet sich auch im Kostüm von Gretel als Unterrock in Gelb, hier kombiniert mit gemusterten Nylons und Ringelstrümpfen zu klobigen Stiefeln. Für die Kostüme zeichnen Kerstin Laackmann und Anke Küper verantwortlich, das Maskenbild stammt von Wiebke Quenzel.

Die weitere klassische Geschichte ist schnell erzählt: Hänsel gerät in die Fänge der Hexe, die das Menschenkind als Zutat für ihren kraftspendenden „Seelensaft“ verwenden möchte und ihn dazu fett füttern will, Gretel entkommt und sucht fieberhaft nach einer Möglichkeit, ihren Bruder zu befreien. In der Inszenierung von Jan Radermacher kommt jetzt einem Zauberbuch (Detlev Nyga) eine entscheidende Rolle zu: Es bietet Gretel seine Hilfe an, doch dafür muss sie ihre Seele verkaufen, wird damit selbst zur Hexe. Hier geht es wieder um die Frage: Welche Entscheidung treffe ich, was ist richtig, was falsch? Welche Folgen hat das für mich, für andere, für mein weiteres Leben? Zwei weitere Figuren hat das Autorenteam in die Geschichte geschrieben: Den exaltierten Raben Jorik Breeden (Marius Schneider) und den pummeligen, leicht verwirrten Kater Nikkels Bugk (Benedikt Selzner). Sie wurden beide von der Hexe verwandelt und müssen ihr seit nunmehr 13 Jahren zu Diensten sein. Kesse Sprüche („Ich rede nicht mit Zutaten“) und Garfieldsches Phlegma machen die beiden zu tierischen Sympathieträgern und verleihen gruseligen Szenen ein bisschen Leichtigkeit für die jüngeren Zuschauer.

Die Handlung nimmt nochmal gehörig an Fahrt auf, als Gretel lernt, mit Hilfe des Buches wirklich zu hexen. Sie will eigentlich zunächst nur ihren Bruder befreien, doch die Macht, die sie nun hat, verändert ihre Persönlichkeit – sie wird selbst zur bösen Hexe. Der Kampf mit der eigentlichen Hexe droht schließlich alles zu zerstören, Gutes wie Böses, Freund wie Feind. Gretel bleibt allein und verzweifelt zurück.

Ein Märchen wäre kein Märchen, wenn es kein gutes Ende hätte – das ist auch bei „Hänsel und Gretel 2025“ nicht anders. Doch wer im Dorf über Jahrzehnte die Fäden im Hintergrund in der Hand hielt, wer Hexe und wer Mensch ist, was es mit dem „Wind, dem himmlischen Kind“ auf sich hat, das sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel: Das Finale setzt auch musikalisch nochmal ein Ausrufezeichen und birgt so manche Überraschung.

Alle Informationen zur 41. Spielzeit der Brüder Grimm Festspiele Hanau (bis 27. Juli im Amphitheater Hanau): Brüder Grimm Festspiele – 41. Spielzeit ・ 09.05 – 27.07.2025.

Pressekontakt: Prof. Dr. Jeroen Coppens
https://www.presse-service.de/data.aspx/static/?ID=1188527.html

Bild: Hanau, Brüder Grimm Festspiele, 3. Premiere, 1
© Brüder Grimm Festspiele / Hendrik Nix
Hanau, Brüder Grimm Festspiele, 3. Premiere, 1
Hänsel und Gretel entdecken das Lebkuchenhäuschen.

 

Quelle: Redaktion MKK Echo

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