Donnerstag, November 21, 2024
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Internationale Schule – Hessische Europaschulen in der Verantwortung für Europa als Friedensprojekt und Wertegemeinschaft: Dokumentation der ersten Jahre des Programms der Hessisch

In einer Feierstunde wurde kürzlich der Kopernikusschule Freigericht ein bedeutsames Dokument übergeben, dass die Anfänge der Europaschularbeit dokumentiert. Hier liegen also die Wurzeln für das heute umfangreiche Bildungsangebot, das Europaschulen den ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schülern bieten können.
Was empfanden die Menschen in der Zeit direkt nach dem Fall der Mauer und des sogenannten Eisernen Vorhangs? Erleichterung über das Ende des Kalten Krieges, Hoffnung auf eine bessere Zukunft Europas mit demokratischer Kultur und internationaler Gemeinschaft gehörten damals zum Lebensgefühl. Zeichen dafür war auch die Wiedervereinigung Deutschlands als einzigartiges geschichtliches Ereignis. Kurz vor dem Vertragsschluss von Maastricht und dem damit verbundenen Weg in die Europäische Union war der Blick in die Zukunft auf ein zusammenwachsendes friedliches, freies, und demokratisches Europa gerichtet. Das sollte auch für Bildung und Erziehung gelten – in Europa, in Deutschland, in Hessen, im Main-Kinzig-Kreis oder auch in Freigericht. Die Zeit war reif, Europa in die Klassenzimmer zu holen. Diesem Anliegen widmete sich das Programm der Hessischen Europaschulen, das mit insgesamt fünf Schulen im Verlauf des Schuljahres 1991/1992 startete.
Ein besonders bedeutsames Dokument aus den Anfängen der Hessischen Europaschulen hat kürzlich Frau Oberstudienrätin a.D. Birgit Schulz von Professor Gordon H Bell, Universität Leeds, erhalten, dem damaligen Consultant Evaluator bzw. wissenschaftlichen Begleiter des hessischen Europaschulprogramms. Mit ihm hatte Birgit Schulz damals als Mitarbeiterin im Kultusministerium und spätere Europaschulkoordinatorin der Otto-Hahn-Schule in Hanau eng zusammengearbeitet. Er hat ihr im Frühsommer 2024 die Auswertung und Evaluationen der ersten Jahre von 1993 bis 1998 in gebundener Form gewidmet.
Bei der Übergabe dieses Dokuments an die Schulleitung der Kopernikusschule Freigericht traf Birgit Schulz auf ihre damaligen Kolleginnen, die ebenfalls das Europaschulprogramm seit seinen Anfängen entwickelt, implementiert und erweitert hatten: Schulleiterin a.D. Anna Maria Dörr und Studiendirektorin a.D. Marie-Luise Campen-Schreiner, langjährige Europaschulkoordinatorin. Der Austausch von Erinnerungen aus den Gründungsjahren der Hessischen Europaschulen eröffnete interessante Informationen über dieses als Schulentwicklungsprogramm angelegte Großprojekt des Hessischen Kultusministeriums. Unter Fragestellungen wie Is there innovation without change? (sinngemäß: Gibt es Erneuerungen ohne Veränderungen?) berichteten die damals aktiven Koordinatorinnen von hochinteressanten internationalen Kongressen und von regelmäßigen Arbeitssitzungen, die immer in der Arbeitssprache Englisch durchgeführt wurden – einschließlich der notwendigen Übersetzungsarbeiten. Professor Bell, der als Ideen- und Impulsgeber die Schulentwicklungsprozesse in anspruchsvoller, aber auch sehr motivierender Weise leitete, schlug beispielsweise vor, dass die Schülerinnen und Schüler, ebenso die Lehrkräfte sich mit den internationalen Partnern über das damals erst entstehende Internet verständigen sollen. Heute ein selbstverständlicher, damals ein revolutionärer Gedanke.
Ebenso spannend waren auch die inhaltlichen Erarbeitungen zum Begriff Europäische Dimension und zu den Plänen für die Erarbeitungen von Lehrplänen, in denen Europa für jedes Fach sowie für alle Bildungs- und Erziehungsprozesse in der Schule greifbar werden sollte. Ein Zitat aus den Evaluationen macht deutlich, welch großer Aufgabe sich die Europaschulen damals gestellt haben: Accepting the European Dimension caused us to think differently. From now on Europe was not only a topic in the lessons, it was also an educational target. Es ging also darum, Europa in der Schule nicht nur als einen objektiv zu untersuchenden Lerngegenstand von Unterrichtsstunden zu betrachten. Europa wurde zum Ziel der Bildungs- und Erziehungsprozesse. Anna Maria Dörr, damals als Schulleitungsmitglied mit den Aufgaben der Europaschule und Budgetverwaltung beauftragt, berichtete, wie viel Arbeit in der Entwicklung, Antragstellung sowie der Organisation internationaler Netzwerktreffen und der Arbeitssitzungen mit allen Europaschulen und dem Kultusministerium lag.
Die Begeisterung über die neu angestoßenen schulischen Projekte, auch bei den beteiligten Lehrkräften, überwog jedoch ganz offensichtlich die Anstrengungen, nicht zuletzt aufgrund des professionellen Vorgehens bei der Programmentwicklung und der damals aktuellen Themen, die in fünf Programmbereichen dargestellt wurden:
• Internationale und interkulturelle Verständigung ,
• Aufbau eines Nachmittagsprogramms,
• Öffnung von Schule und Zusammenarbeit mit der Kommune,
• Ökologische Achtsamkeit und
• Reformpädagogik.
Der Fokus dabei lag auf der Europäischen Dimension und den daraus resultierenden Erziehungs- und Bildungszielen. Eine wesentliche Frage hierbei war, was eigentlich die Europäerin oder den Europäer ausmacht. What is this thing called „European”? Viele Lernprozesse und Bildungsangebote des Europaschulprogramms beziehen sich bis heute auf diese Frage nach der europäischen Identität und wodurch sie geprägt ist, beispielsweise durch die europäischen Werte, die demokratische Kultur oder die interkulturelle Verständigung, nicht zuletzt mit Bezug auf das Prinzip der Mehrsprachigkeit und das Sprachenlernen.
Die Erarbeitung Europäischer Curricula hatten großen Erfolg: Mit internationalen Austauschprojekten in stabilen internationalen Partnerschaften, einem umfangreichen Fremdsprachenangebot, bilingualem Unterricht wie beispielsweise im Fach Erdkunde, Projekte des fächerverbindenden Lernens oder ökologische Projekte an der Schule selbst sowie im Austausch mit internationalen Partnern konnte die neue Europaschule innovative wertvolle und zukunftsrelevante schulische Projekte anbieten. Eine tragende Säule war nicht zuletzt das Nachmittagsprogramm als Vorläufer der heutigen Ganztagsschulen.
Der Rückblick auf den ersten Zertifizierungszeitraum schloss die Erinnerung an die Zertifizierungsfeier im November 1998 in der Deutschen Bibliothek Frankfurt ein, mit Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Europäischem Parlament sowie den Europaschulen. Schon damals wurde formuliert, dass sich schulischen Lehr- und Lernprozessen kontinuierlich verändern müssen, um auf die Entwicklungen in Gesellschaft und Politik reagieren zu können. Ein Zitat aus den Evaluationen verdeutlicht das: Constant changes in the school and teaching are becoming necessary because of continuous social and political changes.
Wie sich die Hessischen Europaschulen während der vergangenen mehr als drei Jahrzehnte entwickelt haben und nun auch auf die aktuelle Situation Europas Bezug nehmen, wurde im weiteren Gesprächsverlauf beleuchtet. Im Gegensatz zu damals ist die Wertschätzung für die Errungenschaften und Werte sowie das weitere Zusammenwachsen Europas im Sinne des Friedens oder der demokratischen Kultur heute nicht mehr selbstverständlich. Die Hessischen Europaschulen setzen dennoch ihre Arbeit fort und können auf eine Vielzahl wertvoller schulischer Angebote zurückgreifen. An der Kopernikusschule Freigericht sind zum Beispiel aktuell 54 Europaschulprojekte beantragt, die zusammen mit den kontinuierlich gewachsenen Strukturen des umfangreichen Fremdsprachenangebots, des bilingualen Unterrichts oder des Demokratielernens, des interkulturellen Lernens das Bildungsangebot bereichern.
Die Frage nach innovativen Konzepten für die Lehr- und Lernprozesse wird im Rahmen des Europaschulprogramms und seiner Zielsetzungen ganz besonders berücksichtigt. So wurde das neue Hauptschulkonzept nicht zuletzt aufgrund gravierender Veränderungsprozesse unserer Gesellschaft entwickelt, ebenso das Konzept Freies Lernen und Arbeiten (LEA).
Seit 18 Jahren haben Schülerinnen und Schüler der Kopernikusschule Freigericht die Möglichkeit, das Deutsch-Französische Abitur (AbiBac) oder das Exzellenzlabel CertiLingua zu erwerben. Sie können die Angebote der mit dem Gütesiegel für ausgezeichnete Berufs- und Studienorientierung zertifizierten Schule nutzen, sowohl auf regionaler Ebene, beispielsweise mit dem Projekt „Unternehmer in die Schulen“, als auch für Betriebspraktika im Ausland. Das ist möglich, weil die Schule über Kontakte in einem großen internationalen Netzwerk von Schulen in viele Regionen Europas hinein verfügt. Dabei wird besonders berücksichtigt, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten junge Menschen benötigen, um im internationalen Kontext studieren oder arbeiten zu können. Ein bemerkenswertes Projekt in diesem Zusammenhang ist der Zukunftstag für die Schülerinnen und Schüler der gymnasiale Oberstufe, die mit erfolgreichen Absolventinnen und Absolventen der Kopernikusschule Freigericht über berufliche Perspektiven ins Gespräch kommen werden.
Zunehmend bedeutsamer werden Nachhaltigkeitsziele und ökologisches Lernen im Zusammenhang mit der naturwissenschaftlichen Orientierung (MINT-freundliche Schule) oder der Digitalisierung. Auch solche Projekte finden im internationalen Kontext statt, z. B. im durch das Hessische Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen ausgezeichnete Erasmus+ Projekt „Meeresbiologische Exkursion“, das Studiendirektor Olaf Sailer eingehend erläuterte.
Die Europaschule als internationale Schule entwickelt sich weiter und bietet auch in Zukunft wertvolle innovative Projekte an. Sie sollen gewährleisten, dass die Schülerinnen und Schüler auf lebenslanges Lernen gut vorbereitet sind und Kompetenzen erwerben, wie sie als life long learning competencies durch die Europäische Union formuliert wurden.
Darüber hinaus werden die Hessischen Europaschulen den Schwerpunkt auf das Demokratielernen und die politische Bildung legen. „Nachdem wir uns bei der Europabildung lange auf das kompetenzorientierte Europäische Curriculum der Hessischen Europaschulen von 2010 bezogen haben, soll nun der Fokus der Arbeit auf innovativen Projekten liegen, deren Maßstab der Referenzrahmen Kompetenzen für eine demokratische Kultur (RF CDC) des Europarats darstellt – passend zur gegenwärtigen Situation Europas und der Welt“, erläutert Schulleiter Ulrich Mayer.
Mayer dankt zum Abschluss des informativen und lehrreichen Gesprächs ganz herzlich den langjährigen Europaschulkoordinatorinnen Birgit Schulz und Marie-Luise Campen-Schreiner, ebenso seiner Vorgängerin Anna Maria Dörr und dem anwesenden Schulleitungsteam. Besonderer Dank gilt Birgit Schulz für das soeben an die Kopernikusschule Freigericht überreichte Geschenk, die umfangreiche Evaluation und Dokumentation der ersten Jahre des Hessischen Europaschulprogramms. Der Rückblick auf die Anfänge und die enormen Anstrengungen und Erfolge macht Mut, die Arbeit der Europaschulen als internationale Schulen fortzusetzen und damit Verantwortung für Europa als Friedensprojekt und Wertegemeinschaft zu übernehmen.

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Quelle: Thorsten Weitzel

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